Donnerstag, 22. Dezember 2011

Wie aus dem L-Wort ein Unwort wurde

Daniel Flynn über das Wort "liberal".

Termini technici
liberal: liberaler Linker (weil sich der Begriff liberal, so wie der Begriff humanistisch, irgendwann als Tarnkappe für links enttarnen wird)

(weitere Anmerkungen in Klammern)


Liberale Linke sind etwa wie der KGB. Alle paar Jahre muß der Name geändert werden. So wird der KGB zum FSK, der zum FSB wird. Die Liberale Linke werden Sozialisten, die zu Radikalen werden, und so weiter. Aktuell haben die Liberalen Linken einen Anachronismus aus dem späten 19. Jahrhundert ausgegraben und beschreiben sich selbst als "progressiv".

In seinem Artikel "Kann das L-Wort gerettet werden?" ("Can The L-word Be Saved?") auf "The American Interest" sieht Walter Russell Mead bei den zeitgenössischen Liberalen Linken systembedingte Probleme und plädiert für eine Erneuerung. Dies widerspricht der bisherigen liberalen linken Tradition, eher die Etiketten statt die Prinzipien fallenzulassen. Wahre Gläubige des 20. Jahrhunderts behaupteten, ihre Unbeliebtheit resultiere aus schlechtem Marketing. Somit wurden Ideen nicht überdacht, sondern umbenannt.

Mead, der (als Professor am Bard-College) Außenpolitik lehrt, weist liberalen Linken fünf Epochen zu und bezeichnet die aktuellen runderneuerten liberalen Linken als Version 4.0 und deren zukunftsweisendes Ersatzmodell als Version 5.0, wobei er argumentiert, "liberale Linke der Version 5.0 werden liberale Linke der Version 4.0 wegen dem Recht auf das magische L-Wort herausfordern und versuchen, liberale Linke der Version 4.0 zu überzeugen, zurück in die Zukunft zu kommen und diejenigen, die nicht mitkommen, als das brandmarken, was sie sind -- Bremsklötze und Reaktionäre mit Scheuklappen." Doch besonders "magisch" war das L-Wort in den letzten Jahrzehnten nicht. Es ist viel wahrscheinlicher, daß Reformer wie Mead als "Reaktionäre" angeprangert werden -- und nicht die verkalkten liberalen Linken der Version 4.0.

Liberale Linke sind in Amerika nicht sehr populär. Die halbjährliche Gallup-Umfrage zur politischen Identifikation ergab, daß Anfang 2010 nur 21 Prozent der Amerikaner das "liberale linke" Erkennungszeichen trugen, ein rückläufiger Anteil. Zum Vergleich: 42 Prozent der Befragten bezeichneten sich selbst als "konservativ". Gallup wies im Juni darauf hin, daß, wenn der Trend für den Rest des Jahres 2010 anhält, die Konservativen ihren größten Anteil seit Bestehen der Umfrage aus dem Jahre 1992 erreichen würden.

Es war nicht immer so. Während des Hochwassers der liberalen Linken im 20. Jahrhundert konnte John F. Kennedy erklären "Ich sage mit Stolz, daß ich ein liberaler Linker bin" und knapp zwei Monate später die Wahl zum Präsidenten gewinnen. Kennedy definierte einen liberalen Linken, wenn auch platitüdenhaft, als "jemand, der vorausschaut und nicht zurückblickt, jemand, der neue Ideen ohne steife Reaktionen begrüßt, jemand der sich um das Wohl der Menschen kümmert -- ihre Gesundheit, ihre Wohnungen, ihre Schulen, ihre Arbeitsplätze, ihre Bürgerrechte und ihre bürgerlichen Freiheiten -- jemand, der daran glaubt, daß wir den Argwohn und die Stagnation aufbrechen, die unsere Politik im Ausland umklammern." Weil sich die Bedeutung, ein liberaler Linker zu sein, in dem halben Jahrhundert, seit Kennedy diese Worte sprach, so sehr verändert hat, ist das Kapital der liberalen Linken so schnell zerronnen.

Dies zeigt sich in der Art und Weise, wie liberale Linke und Konservative reagieren, wenn sie liberale Linke und Konservative genannt werden. Erstere sehen darin eine Beleidigung, letztere ein Kompliment. Menschen mit wenigen konservativen Überzeugungen sind dennoch darauf bedacht, sich mit diesem Wort zu identifizieren. Menschen, die sich der liberalen linken Parteilinie am eifrigsten unterordnen, meiden das Markenzeichen. Es ist nicht das erste Mal, daß ein Etikett für eine politische Beschreibung zu einem Schimpfwort geworden ist.

Karl Marx entschied sich für den Begriff "Kommunist", als Abgrenzung zum Wort "Sozialist", das von den Anhängern Robert Owens geprägt wurde. Bezeichnete Marx sich selbst als "Sozialist", verwendete er häufig den Modifikator "wissenschaftlich" -- das Wort "utopisch" stellte er dem Sozialismus seiner rivalisierenden Propheten voran. Dies trotz der Tatsache, daß Marx seine Theorien im Lesesaal des Britischen Museums entwickelte, während viele der Ideen seiner Konkurrenten an tatsächlichen Kommunen erarbeitet wurden, wie Owens (gescheiterte genossenschaftliche Kolonie) New Harmony (die er 1824 gründete, nachdem er in Indiana, 24 km nördlich der Bezirksstadt Mount Vernon, die Siedlung Harmony am Fluß Wabash in Posey County kaufte). Extremen Linken sind Klassifikationen ebenso wichtig wie ihren gemäßigteren ideologischen Vettern.

Dennoch liegt Mead richtig, wenn er dazu auffordert, statt der Etiketten lieber die Ideen der liberalen Linken zu überdenken. Die Tatsache, daß es so weit gekommen ist, daß die dem Begriff zugrundeliegenden Prinzipien das genaue Gegenteil von "frei" bedeuten, legt nahe, daß eine solche Neubewertung längst überfällig ist. Das Problem ist, daß sich der Begriff so gründlich diskreditiert hat, daß er den Amerikanern sämtliche mit ihr verbundenen Programme oder Philosophien versauerte. Es ist nicht nur, daß der Begriff Feindseligkeit gegenüber Freiheit andeutet. "Linker Liberalismus" wurde seit den 60er Jahren zu reflexiver Feindseligkeit gegenüber der umgebenden Kultur, kurz: zu "Entfremdung". Dies manifestiert sich in Kreuzzügen für inhaftierte Terroristen, illegale Einwanderer und gewöhnliche Gesetzesbrecher; im Beifall für Homosexualität und Abtreibung, in der Wut auf Amerika sowie der Verachtung für die Fahne, Waffen, Kapitalismus, Pick-ups und so ziemlich jedem anderen noch so simplen materiellen amerikanischen kulturellen Marker. Es gibt einen Impuls gegen das, wofür Amerika steht. Man muß nicht allzu scharfsinnig sein, um zu erraten, wie sich eine solche Prognose in Amerika entwickeln wird.

"Die amerikanische Gesellschaft muß die zunehmend dysfunktionalen und veralteten liberalen linken Ideen der Version 4.0 überwinden", schreibt Mead. "Was auch immer in der Vergangenheit der Fall war, jetzt funktioniert es einfach nicht." Das ist richtig. Aber warum ein Wort wiederbeleben, das mit "dysfunktionalen und veralteten Ideen" verbunden ist?

Kann das L-Wort gerettet werden? Wahrscheinlich nicht. Es kann, und wird, umgeändert werden. Das Wort könnte wieder schick werden, wie das seltsame Wiederaufleben von "progressiv". Nicht jedoch die Prinzipien hinter dem Wort -- zumindest nicht in diesem Land.
Hier finden Sie den Originalartikel, How the L-Word Became a 4-Letter Word.