Donnerstag, 15. Dezember 2011

Atlanta: Amerikas größter Betrugsskandal unter Lehrern und Schulleitern aufgedeckt

Patrik Jonsson über Lehrer, die bei Noten nachhelfen.

Termini technici
standardized tests: standardisierte Prüfungen, vermutlich zentrale Klassenarbeiten
superintendent: Schulinspektor
erasure rates and patterns: Korrekturmuster

(Siehe auch die Meldung Skandal um massenhafte Schulnotenfälschung in USA vom 19. Juli 2011 auf WELT ONLINE -- der Rest der deutschsprachigen Medien befand sich zu dieser Zeit in den Sommerferien.)

(weitere Anmerkungen in Klammern)
Mindestens 178 Lehrer und Schulleiter auf öffentlichen Schulen in Atlanta betrogen laut einem Ermittlungsbericht des "Georgia Bureau of Investigation" (GBI) bei wichtigen standardisierten Prüfungen (zentrale Klassenarbeiten, die auf das tiefergelegte Leistungsniveau undisziplinierter Schüler zugeschnitten sind, die nur noch das lernen sollen, was im Leben zwischen Sesamstraße und Internet wichtig ist), um die Noten von Schülern zu erhöhen.


Im Februar 2009 wurde Atlantas Schulinspektorin Beverly Hall zu San Franciscos Schulinspektorin des Jahres 2009 ernannt. Am 30. Juni trat Beverly Hall von ihrem Amt zurück -- Tage vor der Veröffentlichung eines Berichts, der weit verbreitete Betrugsfälle durch Lehrer und Schuladministratoren dokumentiert, die für Atlantas 55.000-Schüler auf öffentlichen Schulen verantwortlich sind. (Paul Sakuma/AP)

Die ausgezeichneten schulischen Leistungen von Schülern in Atlanta basierten auf weit verbreitetem Betrug durch 178 Lehrer und Schulleiter, erklärte Georgias Gouverneur Nathan Deal am Dienstag. Im wahrscheinlich größten Betrugsskandal der US-Geschichte veröffentlichte sein Büro einen Bericht des "Georgia Bureau of Investigation" mit den Namen von 178 Lehrern und Schulleitern, von denen 82 ein Geständnis ablegten.

Dies scheint der größte von Dutzenden von Betrugsskandalen zu sein, die im ganzen Land auftauchen. Die Vorwürfe zeigen Probleme bei der öffentlichen Bildung, die zunehmend von standardisierten Prüfungen abhängig geworden ist.

Der Bericht über Atlantas öffentliche Schulen, der am Dienstag herauskam, deutet auf ein "weit verbreitetes" Komplott von Schulleitern, Administratoren und Lehrern, um Antworten im "Kriteriumsbasierten Kompetenztest" ("Criterion-Referenced Competency Test", CRCT) zu korrigieren, Plauderer zu bestrafen, und Unregelmäßigkeiten zu vertuschen. (Liberale Linke verstehen sich sicher auch ohne Komplott und parteiübergreifend.)

Es "bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen", sagt Bürgermeister Kasim Reed. "Es besteht kein Zweifel, daß der systemische Betrug im Schulsystem auf breiter Basis erfolgte." Die Nachricht ist "absolut verheerend", sagte die Vorsitzende von Atlantas Schulleitung, Brenda Muhammad. "Es sind unsere Kinder. Kinder betrügt man einfach nicht."

Die Untersuchung trübt die 12-jährige Amtszeit von Schulinspektorin Beverly Hall, die für die Erfolge im Schulsystem -- vor allem in den innerstädtischen Schulen -- zu San Franciscos Schulinspektorin des Jahres 2009 ernannt wurde. Die Ermittler sagten, daß sie nicht direkt beteiligt war, aber wahrscheinlich wußte, was los war, oder es hätte wissen müssen. In ihrer Abschiedsrede an die Lehrer im Juni bestätigte Hall zum ersten Mal ihr Fehlverhalten, gab aber anderen Administratoren die Schuld.

Der Atlanta Betrugsskandal bietet auch den ersten umfassenden Blick auf die zunehmenden Vorwürfe von Lehrerbetrug in den USA, über die im Juni zwei bis drei Fälle pro Woche gemeldet wurden, sagt Robert Schaeffer, ein Sprecher des "Landeszentrums für faire und offene Prüfungen" ("National Center for Fair & Open Testing"), das sich für die Abschaffung von Prüfungen mit hohem Risiko (high-stakes tests) einsetzt. (Sicherlich mit der humanistischen Begründung, daß unsere Kinder den Hauptteil ihres Lebens außerhalb der Schule verbringen und deshalb nur das lernen sollten, was im Leben gebraucht wird, um gute Anti-Faschisten zu produzieren.)

Kritiker sagen, es ist auch eine stillschweigende Anklage von Politikern, die durch Prüfungen mit hohem Risiko eine Verbesserung der Schulbildung erreichen wollen, was durch Prüfungsergebnisse zu Bestrafungen und Belohnungen von Schülern, Lehrern und Schulleitern führt. (Wann wird das menschenverachtende Leistungsprinzip endlich abgeschafft? Man sollte einfach jedem, der will, die Chance geben, Pilot zu werden, ohne Noten und Prüfungszwänge, schließlich gibt es genügend liberale Linke, die durch Umverteilung die Finanzierung der Flugzeuge sicherstellen, die während der Ausbildung gegen die Wand geflogen werden -- und bis der Pilot so weit ist, wird ihm ein bedingungsloses Pilotengrundeinkommen zugesichert, damit er nicht depressiv wird.)

"Wenn nur noch die Prüfungsergebnisse zählen, dann fühlen sich einige Pädagogen unter Druck gesetzt, die erforderliche Punktzahl, die sie benötigen, auf Biegen und Brechen zu erreichen", sagt Schaeffer. "Je höher der Einsatz ist, desto größer ist der Anreiz für Manipulation und Betrug." (Warum entscheiden sich liberale Linke für einen Weg, der mit so viel Leistungsdruck gepflastert ist? Die besten Beamtenjobs hat die EU zu vergeben. Dort bekommt man bis zu 200.000 Euro im Jahr und einen speziellen ermäßigten EU-Beamten-Steuersatz. Außerdem ist man unkündbar, bekommt alle nur erdenklichen sozialen Absicherungen und sein eigenes Nummerschild.)

Der Betrug an den öffentlichen Schulen in Atlanta

Atlantas öffentliches Schulsystem mit seinen 55.000 Schülern wurde in den 2000er Jahren landesweit bekannt, als die Prüfungsergebnisse stetig besser wurden und die Stadt von der Broad Foundation (der Immobilienunternehmer Eli and Edythe Broad) und der Gates Foundation (von Bill Gates) Beachtung und Geldmittel erhielt. Doch hinter diesem Anstieg standen Lehrer und Schulleiter in 44 Schulen, die falsche Prüfungsantworten löschten und korrigierten.

Einer der beunruhigendsten Aspekte des Betrugsskandals in Atlanta ist laut Bericht, daß sich die Stadt immer wieder weigerte, den Betrug zu untersuchen oder die Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus befahl die Zentrale einigen Schulleitern, nicht mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten. In einem Fall wies ein Schuladministrator die Mitarbeiter an, den Ermittlern zu sagen, sie sollen "zur Hölle fahren". Lehrer, die die Behörden alarmieren wollten, bezeichnete man als "verstimmt". Ein Schulleiter leitete gegen einen Plauderer eine Ethik-Untersuchung ein.

Untersuchungen durch die Tageszeitung "Atlanta Journal-Constitution" (AJC) und staatliche Ermittler fanden ein Muster, das sich mit anderen Betrugsskandalen deckt: einer Verbesserung der Prüfungsergebnisse, die für eine Schulklasse besonders wichtig waren, folgte im nächsten Schuljahr eine ebenso dramatische Verschlechterung. Laut Thomas Haladyna, einem Prüfungsexperten der Arizona State University, stellte im März eine Untersuchung von USA Today fest, daß sich dieses "abnormale" Muster in sechs Bundesstaaten und dem District of Columbia zeigte.

Die Vorwürfe zu den Prüfungen in Atlanta führten zur ersten großen Untersuchung über Lehrerbetrug durch die Strafverfolgungsbehörden. Skandale in anderen Bundesstaaten werden in der Regel durch Behörden der jeweiligen Bundesstaaten untersucht. Als Reaktion auf die jüngsten Vorwürfe über Lehrerbetrug in Baltimore sagte Michael Sarbanes, der Leiter für das Engagement der Gemeinschaft (community engagement director), gegenüber dem "District Management Journal", eine Fachzeitschrift für Schulverwaltungen, daß die Manipulation einer Prüfung "der menschlichen Natur innewohnt, [obwohl] wir denken, daß Menschen, die das tun, Einzelfälle sind".

Die hohen Anforderungen an die Lehrer

Zehn Staaten verwenden Prüfungsergebnisse als Hauptkriterium bei der Beurteilung von Lehrern. Andere Staaten belohnen Lehrer mit guten Prüfungsergebnissen mit einem Bonus von bis zu 25.000 Dollar -- während niedrige Prüfungsergebnisse dazu führen können, daß Schulleiter ihren Arbeitsplatz verlieren oder ganze Schulen geschlossen werden. Selbst wenn die Skandale zunehmen, kommen Lehrer und Schulleiter laut Experten bei ethischen Verfehlungen ziemlich einfach davon.

"Ich denke, die wichtigste Frage, die der [Atlanta-Skandal] aufwirft, ist, warum viele Schulbezirke und Bundesstaaten weiterhin zentrale Klassenarbeiten ohne strenge Sicherheitsverfahren durchführen", sagt Brian Jacob, Leiter des Zentrums für lokale, staatliche und städtische Politik (Center on Local, State and Urban Policy) an der Universität Michigan. "In gewissem Sinne ist das eines der Probleme im öffentlichen Schulsystem, die am wenigsten besorgniserregend sind, weil es ziemlich einfach zu beheben ist. Schwieriger wäre es bei Prüfungsvorbereitungen im Unterricht, was eine mildere Form der Prüfungsmanipulation wäre, die viel schwerer zu erkennen wäre und den Bildungsprozeß auf eine Weise verzerren könnte, die wir nicht gutheißen würden."

Als Reaktion auf die Betrugsskandale haben einige Bundesstaaten und Schulbezirke härtere Prüfungsstandards für Klassenarbeiten eingeführt -- eine Software analysiert dabei die Korrekturmuster. Die Obama-Administration reformiert inzwischen den Schulleistungstest NCLB (No Child Left Behind), um den Druck auf Lehrer und Schulleiter zu reduzieren. Bildungsminister Arne Duncan sagte im Juni, der Schulleistungstest NCLB "schafft für Kinder, Eltern und Lehrer ein Zugunglück in Zeitlupe" (und Bildungsminister formulieren katastrophale Zugunglücke in Zeitlupe). Auf der anderen Seite könnte ein Bonus für Lehrer, die in ihren Klassen die Prüfungsergebnisse verbessern -- ein Vorschlag der Obama-Administration -- die Hürden dabei nur verschieben.

"Die Lehrer, Schulleiter und Administratoren [in Atlanta] wollten beweisen, daß der Glaube der Broad- und Gates-Stiftungen sowie der Handelskammer nicht fehl am Platze war und daß die öffentlichen Schulen in Atlanta die Schulbildung in Amerika neu schreiben können und ihren Schülern ein glückliches, oder zumindest glücklicheres Ende bieten können", schreibt Bildungskolumnistin Maureen Downey in der Tageszeitung "Atlanta Journal-Constitution".

"Und das ist, was uns alarmieren sollte, fügte Maureen Downey hinzu, "daß diese Fachkräfte letztlich fühlten, daß ihre Schüler nicht einmal grundlegende Prüfungen bestehen konnten, trotz gezielter Sanierungspläne, bewährter Reformen und Lehrerausbildung nach dem modernsten Stand der Technik". (Drei gute Argumente für Home-Schooling in Deutschland sind demnach gezielte Sanierungspläne, bewährte Reformen und Lehrerausbildung nach dem modernsten Stand der Technik.)
Hier finden Sie den Originalartikel, America's biggest teacher and principal cheating scandal unfolds in Atlanta.