Mittwoch, 14. Dezember 2011

Islamismus: Der Kommunismus für das 21. Jahrhundert

Barry Rubin über Mohammed, Marx und den Neuen Ismus mit göttlichem Antlitz.

Die Internationale Muslimbruderschaft verheißt nicht nur 250 Millionen Arabern nichts Gutes, sondern auch dem Westen

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
...
Die Internationale (Emil Luckhardt, 1910)


Auf den ersten Blick scheinen die im Kampflied des Kommunismus ausgedrückten Gefühle für radikale Islamisten durchaus akzeptabel zu sein, obwohl einige spätere Verse den Säkularismus der marxistischen Bewegung deutlich machen: "Es rettet uns kein höh'res Wesen."

Die Erste Internationale (Internationale Arbeiterassoziation, IAA) wurde 1864 gegründet; die Zweite Internationale (Sozialistische Internationale) wurde 1889 in Paris gegründet; die Dritte Internationale (Kommunistische Internationale, Komintern) wurde 1919 in Moskau gegründet; und die Vierte Internationale (ein Verbund trotzkistischer Parteien und Gruppen) wurde 1938 in Paris gegründet.

Obwohl niemand diese Terminologie nutzt ist es an der Zeit, die Fünfte Internationale zu gründen -- die der Muslim-Bruderschaften. Denn obwohl die genauen Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Bruderschaft schon immer schattenhaft waren und trotz der Tatsache, daß sie keine zentrale Organisation haben, gibt es unter ihnen eine Menge an Koordination, einschließlich finanzieller Hilfe.

Heute, wie immer, ist der ägyptische Zweig der größte und mächtigste. Nachdem die Bruderschaft im Jahre 1928 gegründet wurde, mit dem nationalsozialistischen Deutschland zusammenarbeitete, und dann in den 1940er und frühen 1950er Jahren Terroranschläge verübte, wurde sie anschließend vom radikalen nationalistischen ägyptischen Regime unterdrückt. In den 1970er Jahren wurde der Einfluß der Muslimbrüder wieder stärker, sie wurden aber ständig unterdrückt, obwohl sie manchmal in Wahlen antraten. Jetzt sind sie die stärkste politische Kraft in Ägypten und dem Anschein nach zum ersten Mal auf dem Weg an die Macht.

Sie sind nicht allein. Der jordanische Zweig hat mit einigem Erfolg an den Wahlen teilgenommen, die Monarchie hat aber seit jeher die Stimmen so gezählt und die Abstimmung so manipuliert, daß die Gruppe nicht gewinnen konnte.

Der syrische Zweig wurde im Jahr 1982 blutig niedergeschlagen, arbeitete im Untergrund aber weiter. Jetzt ist die Gruppe als Opposition gegen Assads Regime wieder aufgetaucht. Die US-Regierung und die türkischen Verbündeten erkennen nun, daß sie eine von der Bruderschaft beherrschte Exil-Opposition schufen.

Der palästinensische Zweig namens Hamas regiert den Gaza-Streifen.

Der tunesische Zweig bildet eine Regierung, und die Bruderschaft, die in Libyen entsteht, könnte eines Tages in der Lage sein, die Macht zu übernehmen. Auch in anderen arabischen Ländern existieren kleinere Gruppierungen.

Von besonderer Bedeutung ist, daß sich die Bruderschaft in Europa und Nordamerika verbreitet. Dank einer naiven Regierungspolitik und der nicht besonders hellen Berichterstattung in den Medien beherrscht die Gruppe dort die muslimischen Gemeinden.

Sind die Muslimbrüder moderat? Stellen Sie sich die Beziehung der Bruderschaft zum Islamismus entsprechend der Beziehung der Kommunistischen Partei zum Marxismus vor. Mit anderen Worten: die Bruderschaft ist die politische Verwirklichung der Theologie der Islamisten, die den Roten Halbmond Ägyptens potenziell zum Äquivalent von Hammer und Sichel macht -- und 2011 zum Äquivalent von 1917.

Oder in den Worten des Mannes, der meiner Meinung nach der beste politische Analyst in der arabischen Welt ist, Abd al-Rahman al-Rashid: "Die Führer der islamistischen Parteien beeilten sich, ihr Image für die westlichen Länder aufzufrischen ... Natürlich sind diese Reden reine Öffentlichkeitsarbeit, und können nur von jemandem geglaubt werden, der über die Region oder die Logik der religiösen Parteien nichts weiß. [Bestenfalls] drückt [diese Mäßigung] nur die Meinung von [einigen] wenigen Führern aus, weil die Mehrheit der Führer und Kader dieser Gruppen es als ihre erste Pflicht betrachtet, die Gesellschaft zu säubern, und es würde nicht lange dauern, bis sie die toleranten Führer stürzen."

Jetzt entwickelt sich die Bewegung in Form einer transnationalen Allianz zwischen Regierungen und mächtigen Oppositionsbewegungen in verschiedenen Ländern. Wir sehen, wie mit finanzieller Unterstützung aus Katar aus diesen Gruppen in Ägypten, Libyen, Tunesien, Jordanien, Syrien und im Gazastreifen der Hamas eine internationale Muslimbruderschaft entsteht. Wir werden dazu in den kommenden Monaten und Jahren mehr hören und sehen.

Ein Beispiel: Der wichtigste islamistische Kommandeur der neuen libyschen Streitkräfte ist in der Türkei, um mit der Armee der syrischen Opposition zu arbeiten.

Gibt es auf der anderen Seite ebenfalls eine Allianz? Irgendeine transnationale Organisation arabischer Parteien, die in der Mitte des politischen Spektrums oder gar links angesiedelt ist? Nein.

Gibt es irgendwelche verdeckten Operationen westlicher Länder, die die Gemäßigten mit Geldern und anderen Hilfen unterstützen, so wie es die Bruderschaft und ihre Unterstützer in Katar, im Iran, in der Türkei und in Syrien machen? Auch nicht. Wozu, selbst die Obama-Administration mag jene liebenswerten "Gemäßigten", die den Regeln der Demokratie gehorchen!

Wer wird diesen einseitigen Kampf gewinnen?

Ich fühle mich wie der britische Außenminister Sir Edward Grey im Jahr 1914, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs bemerkte: "In ganz Europa gehen die Lichter aus; wir werden es nicht mehr erleben, daß sie wieder angezündet werden."

Entweder habe ich Recht, daß wir einer sehr, sehr schwierigen Zeit entgegengehen, oder die Muslimbruderschaft wird die Demokratie annehmen, so wie Frauen den Tschador annehmen -- und bald schmerzhafte Kompromisse annehmen: "Alles bestens, wir sind uns einig! Die Scharia gilt nur Montags, Mittwochs und Freitags!"

Denken Sie an folgendes: Bis Ende 2012 wird die überwiegende Mehrheit der Muslime im Nahen Osten -- in Ägypten, im Gazastreifen, im Iran, im Libanon, in Libyen, in Tunesien und in der Türkei, insgesamt etwa ein Viertel Milliarde Menschen -- von radikalen islamistischen Regimes regiert, die daran glauben, gegen Israel und Amerika in den Jihad zu gehen, die daran glauben, Israel von der Landkarte zu streichen, die daran glauben, Christen zu unterdrücken, die daran glauben, den Status der Frau noch weiter herabzusetzen, als er es jetzt ist, und die daran glauben, als die wahren Ausleger des Willens Gottes zu Recht als Diktatoren zu regieren.

Das heißt nicht, daß sie all dies jetzt tun, sondern daß sie es tun werden, wenn sie an der Macht sind.

Der Autor ist Leiter des "Studienzentrums für internationale Beziehungen" ("Global Research in International Affairs", GLORIA) und ein Kolumnist auf Pajamas Media. Sein neues Buch, "Israel: Eine Einführung" ("Israel: An Introduction", Yale University Press), erscheint im Januar.
Hier finden Sie den Originalartikel, Islamism: 21st century Communism.