Mittwoch, 22. Februar 2012

Hoovers Heuler

Charles C. Johnson über Clint Eastwoods Homosexuellen-Geschichtsschreibung 'J. Edgar'.

Termini technici
gay: schwul
straight: hetero
homosexual: homosexuell

(Bestimmt kommt auch bald ein Film, der sich Barack Obamas Sex mit Männern widmet -- aufstrebende Drehbuchautoren finden genug Stoff, wenn sie in die Suchmaschine "Barack Obama" "down low" eingeben. Bis es soweit ist, lassen wir uns einen ganz langen Bart wachsen.)

(weitere Anmerkungen in Klammern)


Der großartige Schauspieler Leonardo DiCaprio, verkrustet unter Schichten von Make-up, sieht im Film 'J. Edgar' zum Teil aus wie der umstrittene FBI-Direktor. Doch Aussehen -- und großartiges Schauspiel -- können täuschen, wenn die Geschichte nicht ganz richtig ist.

Beim Erzählen von J. Edgar Hoovers Geschichte hat Regisseur Clint Eastwood den Anschluß verloren. "Er ist ein mysteriöser Mensch", sagte Eastwood der Washington Post letzte Woche bei einer Vorführung des Films für Washingtons Insider. "Ich habe noch nicht alle Antworten zu ihm." Leider glaubt Dustin Lance Black, dem Eastwood das Drehbuch anvertraute, er hätte diese Antworten: Hoover und Clyde Tolson, sein langjähriger Vertrauter und stellvertretender FBI-Direktor, waren, wie Black einer Schwulen-Zeitung sagte, "nicht hetero".

Hoovers angebliche Homosexualität ist den FBI-Agenten, die mit ihm arbeiteten, neu. Black, der in Sacramento als schwuler Mormone aufwuchs, faßt es dennoch als eine Tatsache auf. Blacks Drehbuch-Liste sieht so aus, wie Sie es von jemandem erwarten würden, der ein unverfrorener Aktivist ist: Er gewann einen Oscar für 'Milk'; 'Pedro' aus dem Jahr 2008 handelt von einem schwulen HIV-Aktivisten aus San Francisco, der es in MTVs Reality-Serie 'The Real World' schaffte; und 'The Journey of Jared Price' aus dem Jahr 2000 ist eine Romanze über einen schwulen Teenager. Blacks Stück '8' erzählt die Geschichte des Prozesses gegen (den Schutz der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau durch den kalifornischen Verfassungszusatz) 'Proposition 8', ein Thema, zu dem er in seinem Dokumentarfilm '8: The Mormon Proposition' zurückkehrt, der argumentiert, daß nicht die kalifornischen Wähler, sondern die fanatischen Mormonen der Schwulen-Ehe den Garaus machten. Eastwood muß bekannt gewesen sein, welche Art von Drehbuchautor er mit Black bekommen würde.

In der kalifornischen Studentenzeitschrift UCLA Daily Bruin erklärte er über 'Milk': "Ich wollte die jüngere Generation inspirieren, volksdemokratische Aktivisten zu werden (becoming activists in a grassroots way). Es gibt eine Menge Sachen, die noch geändert werden müssen -- nicht nur Schwulenrechte." Das Medium Film wird zu einem weiteren Instrument von Agitprop. 'J. Edgar' ist "das Spiegelbild zu 'Milk' -- eine Chance, die andere Seite vom Schwul sein und der Geschichte zu erforschen und was passiert, wenn Sie außergewöhnliche politische Macht haben, was das Gegenteil von 'Milk' ist, Sie aber entscheiden, die Liebe zu leugnen und geheimzuhalten", sagte Black der Schwulenzeitung 'Windy City Times'. (Ich frage mich, ob Politiker größeren Müll erzählen als Künstler oder doch eher umgekehrt.) Hoover war laut Black ein "mit sehr, sehr vielen Problemen belasteter Mann," kein "reiner Soziopath". Hoovers Erfolg beim FBI beruhte auf seiner unterdrückten Sexualität. Sein Wunsch, die beste Strafverfolgungsbehörde der Nation zu schaffen, wurde nicht durch seine Liebe zum Land angetrieben, sondern weil seine "Zeit" und seine von Judi Dench gespielte überkontrollierende Mutter ihm die "Liebe verweigerte".

"Diese Liebe, die nicht wagt, ihren Namen auszusprechen", wie es Black ausdrückt, ist Hoover Nähe zu seinem Stellvertreter Clyde Tolson, gespielt von Armie Hammer. Tolson wird als Dandy dargestellt, dessen gut geschneiderte Anzüge und Manierismen Hoover in einer Bar auffallen. Tolson akzeptiert Hoovers scheinbar improvisiertes Angebot als stellvertretender Direktor des FBI, unter der Bedingung, daß, egal was passiert, sie immer gemeinsam speisen müssen. (Wie gut, daß es heute rechtlich möglich ist, Homosexuelle, die so etwas versuchen würden, wegen sexueller Belästigung in Grund und Boden zu klagen.) Die beiden, obwohl sie in nie zusammen ankommen, sind ständige Gefährten, die zusammen Urlaub machen und Nachtclubs besuchen. "Was den Film wirklich zum Leben bringt, sind die Szenen, die niemand beweisen kann, daß sie passierten", sagte Hammer in einem Interview. "Damals waren Sie für immer erledigt, wenn Sie öffentlich schwul waren."

Zu J. Edgars Höhepunkt kommt es nicht durch irgendeine Handlung oder umstrittene Entscheidung, sondern als Hoover Tolson erzählt, daß er vorhat, zu heiraten. Tolson wird zornig und verwüstet ihr gemeinsames Hotelzimmer. Er und Hoover ringen, Tolson küßt Hoover, und Hoover weist die Avance ab. Als Tolson hinausstürmt, sagt Hoover pathetisch, daß ihn Tolson nicht verlassen soll. Er sagt sogar: "Ich liebe dich."

Dies ist natürlich völlig erfunden. Es ignoriert Hoovers eigene Erklärung, warum er nie heiratete: Seine perfektionistische Ader würde eine Frau verrückt gemacht haben, und sie hätte sich niemals mit der Perfektion seiner Mutter messen können. Black hätte diese Antwort zweifellos verspottet und Hoovers Weigerung, sich mit Frauen aus Hollywood zu verabreden, als Beweis für seine angebliche Homosexualität zitiert. Black zieht nie in Betracht, daß er vielleicht einfach nicht das Drama erleben wollte, sich mit einer Promi-Schnalle (celebrity) zu verabreden. Egal: Black hat seine angebliche heiße Spur. Nach Hoovers Tod knapp vier Jahrzehnte später, im Jahr 1972, erhält Tolson die Flagge, die über seinem Sarg drapiert wurde, zieht in Hoovers Haus, und wird sogar neben ihm begraben. Dies legt Nähe und Treue nahe, nicht Homosexualität.

Doch im Film werden Möglichkeiten zu Wahrscheinlichkeiten verdreht, und die wiederum zu Tatsachen -- es fehlt nur noch eine Ken-Burns-Doku. Der Vorwurf, daß Hoover Frauenkleidung trug, kam von einem verurteilten Meineidigen mit Verbindungen zur Mafia; Gerüchte, daß Hoover homosexuell wäre, waren Gegeninformationen der Sowjetunion, die es in all den Jahren unter Hoover nicht geschafft hatte, das FBI zu infiltrieren und die sich von seinem Krieg gegen jene Kommunisten bedroht fühlte, die in Amerikas Regierung eingedrungen war.

Die Bombenanschläge und Attentate der 60er Jahre gegen die Regierung spiegeln die anarchistischen Bombenanschläge der 20er Jahre wider. Weder Eastwood noch Black vermittelt das Gefühl der Dringlichkeit, das diese Ereignisse in dem Mann ausgelöst haben müssen, der für die Verteidigung der Nation zuständig war. Hoovers plumpe Monologe gehören eher in eine morgendliche Zeichentrickserie oder einen Comic als in ein realistisches Drama. Mehr als die kitschige Klage über den moralischen Niedergang des modernen Amerika gibt Hoover nicht her. Es ist in Hollywood seit langem üblich, Menschen, die mit echter Überzeugung über diese sensiblen Themen reden, bestenfalls ungewöhnlich aussehen zu lassen. Wahrscheinlich ist ein ungewöhnlicher Mensch nötig, um über die Dinge zu sprechen, die viele lieber verbergen möchten, wie Amerikas moralisches Rückgrat. Liberale Linke aus Hollywood, und erst recht Schwulen-Aktivisten, gehen Diskussionen darüber aus dem Weg und setzen ihre kulturellen Feinde ad hominem herab -- Hoover, schwul oder nicht, war einer der größten Feinde.

Black tut dies, indem er Hoover mit historischen Personen in Konflikt geraten läßt. Zum Beispiel nimmt Black nie Hoovers Angst vor einer kommunistischen Bedrohung ernst: für seine Besessenheit wird Hoover von niemand anderem gerügt als Justizminister Robert Kennedy. Natürlich läßt der Film aus, daß Kennedys Bruder von einem Kommunisten getötet wurde. Könnte Hoover Recht gehabt haben? Hatte er Recht, die Anarchisten von früher mit den Black Panthers oder anderen kommunistischen Sympathisanten zu vergleichen?

Diese beliebten historischen Figuren werden mit keinem Wort verurteilt. Robert Kennedys Genehmigung, Martin Luther King Jr. zu belauschen, wird mit keinem Wort erwähnt -- King hatte Verbindungen zu bekannten kommunistischen Partei-Funktionären wie Stanley Levison, einem New Yorker Anwalt, der Geldmittel für die Amerikanische Kommunistische Partei beschaffte. Unerwähnt bleiben auch alle Situationen, die Hoover menschlich zeigen würden, wie seine Opposition gegen japanische Internierungslager während des Zweiten Weltkriegs. Der Film erwähnt seine Verachtung für Joseph McCarthy, erklärt sie aber nicht.

In seiner Darstellung von Hoover ringt 'J. Edgar' nie wirklich mit den Entscheidungen, die Hoover bei der Schaffung einer der mächtigsten Regierungsbehörden traf, oder mit der Möglichkeit, daß seine Betrachtungen über einige historisch geliebte Personen richtig waren -- oder daß, selbst wenn sie falsch waren, er dies tat, um seinem Land zu dienen. Hoover kommt wegen Tolson ins Schwitzen, aber nicht wegen den Entscheidungen, die er treffen mußte.

Vielleicht leidet 'J. Edgar' unter dem gleichen Problem wie alle Filmbiografien. Die Gegenwart, mit ihren Neigungen und Launen, kann die Vergangenheit nicht adäquat erfassen. Die unzusammenhängende Erzählweise von 'J. Edgar' -- in die 20er und 30er Jahre zurück und wieder vorwärts in die 60er -- verstärkt das Problem. Es ist schwer, sich in der kunstvollen, schönen Welt von Kameramann Tom Stern einzurichten. Und es ist schwer, mitzufühlen, wenn wir in der Geschichte hin und her hopsen.

Doch die Geschichte war nie das Ziel von 'J. Edgar', sondern die moralische Verurteilung. "Wozu eine Filmbiografie, wenn sie uns nicht irgendwie nutzt? Es würde wirklich nichts bringen. Wenn sie nicht darüber informiert, wie wir die Dinge jetzt anders machen können und vielleicht unsere Fehler nicht wiederholen, wozu dann dieses Stück über diese Person oder dieses Ereignis?" Black will "die Dinge in der Wahrheit verankern". Doch indem er die Wahrheit verdreht, um einer Agenda zu dienen, verhinderte er, daß er J. Edgar Hoover und seine Zeit überzeugend porträtierte.

Charles C. Johnson ist Autor des in Kürze erscheinenden Buches 'Coolidge: Then and Now'
Hier finden Sie den Originalartikel, Hoover's Howlers.

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