Mittwoch, 25. Januar 2012

Kein Wunder, daß Johnny (immer noch) nicht lesen kann

Larry Sand über kultursensible Bildung und interkulturelle Mathematik.

(Lesen Sie hier den Artikel Bildung: Weniger deutsch, dafür Schema F über die Zustände in EU-Land.)

(weitere Anmerkungen in Klammern)


Fakultäten für Erziehungswissenschaften konzentrieren sich auf Modeerscheinungen, nicht auf Wissen und Fähigkeiten. Ich weiß das aus Erfahrung.

Es gibt viele Gründe für die beklagenswerte Bildungssituation in den Vereinigten Staaten von heute, aber der größte sind wohl unsere Fakultäten für Erziehungswissenschaften.

Meine Erfahrung in den 1980er Jahren an der Universität von Kalifornien in Los Angeles ("California State University, Los Angeles", CSULA oder Cal State) war typisch. Die Kurse waren leicht. Strenge war nicht existent. Ich nahm elf Kurse für Leistungspunkte (credits) und bekam zehn As (sehr gut) und eine B (gut) und fühlte mich nicht ein einziges Mal intellektuell gefordert. Es gab in der Regel ein einfaches Vordiplom und eine Abschlußprüfung und ein Referat -- was zeigen sollte, daß ich wußte, wie man unterrichtet.

Manchmal waren die Stunden (courses), als wäre man wieder auf der Grundschule. Ich hatte viel Spaß in meinen Methodenkursen (methods classes), besonders im Sportunterricht, wo wir die ganze Stunde spielten.

Die erforderlichen Lehrveranstaltungen (course work) beinhalteten jeweils zehn Wochen an Vorlesungen (classes) in Musik und Kunst -- doch Wissenschaft und Sozialwissenschaften wurden in einer fünfwöchigen Vorlesung zusammengefaßt. Einen Grundkurs in Klassenzimmermanagement (classroom management), etwas, das für künftige Lehrer ein großer Vorteil gewesen wäre, gab es nicht.

Statt sich auf die besten Techniken zur Vermittlung von Fähigkeiten und Leitbildern zu konzentrieren, die Schüler benötigen, bleuten die Professoren uns ein, daß wir weder "dressieren" ("drill and kill") sollen, noch den "Weisen auf der Bühne" ("sage on the stage") spielen sollen, sondern stattdessen der "Berater an der Seite" ("guide on the side") sein sollen, der die "schülerische Entdeckung erleichtert" ("facilitates student discovery"). In erster Linie sollten uns die Gefühle der Kinder beschäftigen. Legionen von Schülern, die Lehrer hatten, die in diesen fortschrittlichen Techniken ausgebildet wurden, können kaum addieren oder lesen -- sie haben aber wahrscheinlich ein extrem hohes Selbstwertgefühl.

Als ich ins Klassenzimmer kam fühlte ich mich für den Unterricht weniger vorbereitet als an dem Tag, an dem ich an der "Cal State" mit dem Studium begann.

"Ganzheitliche Sprache" ("whole language") war die herrschende Theorie des Tages. Es verwirft den traditionellen, erfolgreichen, phonetischen Leseunterricht und ersetzt ihn durch einen "holistischen" Ansatz, bei dem Schülern beigebracht wird, "kritische Denkstrategien" zu verwenden, um die Bedeutung von Worten, die sie nicht erkennen, zu erraten. Es war eine Katastrophe für die Lesefähigkeit der Schüler, ist aber in Schulen heute noch beliebt -- die Befürworter der "ganzheitlichen Sprache" sind dazu übergegangen, andere Namen zu verwenden, wie "ausgewogene Alphabetisierung" ("balanced literacy").

In den 1990er Jahren kam dann die Modeerscheinung des Multikulturalismus, und sie hat epidemische Ausmaße erreicht. Lehrer in spe waren gezwungen, über diese ethnische Gruppe zu unterrichten, über jene verarmte Gruppe, über diese sexuell anomale Gruppe, über jene unterrepräsentierte Gruppe, usw. -- alles unter der Rubrik "kultursensibler Bildung" ("Culturally Responsive Education", CRE).

CRE ist das "Verständnis, daß die Denkweise, das Verhalten, und das Sein eines Menschen von der Rasse, der ethnischen Herkunft, der sozialen Schicht und der Sprache beeinflußt wird". (Willkommen im Rassen- und Klassenkampf der alten Zöpfe: "Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein.") Künftige Lehrer sind zur Prüfung verpflichtet, wie ihre eigene "soziokulturelle Identität" und die Ungleichheiten in Schule und Gesellschaft die "institutionalisierte Diskriminierung" unterstützen, die eine "privilegierte Gesellschaft, die auf sozialen Klassen und der Hautfarbe basiert", bewahrt.

Diese Ideen werden übrigens nicht als Theorien präsentiert, sondern als Tatsachen, die nicht in Frage gestellt werden dürfen. Fakultäten für Erziehungswissenschaften (education schools) indoktrinieren ihre Schüler daher mit der tendenziösen Idee, daß alle sozialen Probleme aus "Diskriminierung" und "Privilegien" resultieren.

Statt zu lernen, wie man Schüler im Bruchrechnen oder im Einteilen in Kapitel unterrichtet, sollen Lehreranwärter negativen Einstellungen gegenüber kulturellen Gruppen nachgehen. Dies läuft auf die Aussage hinaus, daß die herrschende Kultur verstehen muß, daß sie alle anderen unterdrückt und Wiedergutmachung leisten muß.

Zu den Ablegern der kultursensiblen Bildung zählt "interkulturelle Mathematik" ("anti-racist math" hat hierzulande nicht als "antirassistische Mathematik" den Weg in den liberalen linken Hirnwaschgang gefunden), die nun in einer Reihe von Schulbezirken angenommen wurde. In Newton, Massachusetts, zum Beispiel, ist das oberste Ziel der Mathematiklehrer, "zwischenmenschliche Unterschiede in den Ausprägungen der Big Five" zu lehren ("respect for human differences" hat hierzulande nicht als "Respekt für menschliche Unterschiede" den Weg in den liberalen linken Hirnwaschgang gefunden). Schüler sollten "den systemübergreifenden Grundwert vom 'Respekt für die menschlichen Unterschiede' ausleben, indem sie Antirassismus- und Antidiskriminierungs-Verhalten (anti-bias behaviors) demonstrieren". (Hierzulande hilft der Anti-Bias-Ansatz, in der Anti-Bias-Werkstatt Anti-Bias-Arbeit zu leisten oder im Anti-Bias-Workshop Anti-Bias-Fragen zu beantworten.) Das Problem ist, daß man all das bis zur Perfektion tun kann und nicht ein klitzekleines Bißchen Mathematik lernt.

Im Jahr 2008 zeigte Bildungsreform-Professor Jay Greene, wie groß das Multikulti Problem geworden ist. Er und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter untersuchte die Anzahl an Multikultikursen, die unseren Lehrern an Hochschulen angeboten werden. Er schrieb (2008) im City Journal:

"Um festzustellen, wie unausgewogen Lehrer auf Fakultäten für Erziehungswissenschaften vorbereitet werden, zählten wir die Titel und Beschreibungen, die die Worte 'Multikulturalismus', 'Vielfalt', 'Integration' enthielten, sowie Varianten davon, und verglichen diese dann mit der Anzahl jener, die Varianten des Wortes 'Mathematik' verwendeten. Dann errechneten wir eine 'Multikulturalismus-Mathematik-Verhältniszahl' ('multiculturalism-to-math ratio') -- ein grober Indikator für die relative Bedeutung von sozialen Zielen gegenüber akademischen Fähigkeiten an Fakultäten für Erziehungswissenschaften."

Die Ergebnisse waren aufschlußreich:

"Die durchschnittliche Fakultät für Erziehungswissenschaften hat eine Multikulturalismus-Mathematik-Verhältniszahl von 1,82, was bedeutet, daß sie 82 Prozent mehr Kurse mit sozialen Zielen als mit Mathematik anbietet. In Harvard und Stanford ist das Verhältnis etwa 2: fast doppelt so viele Kurse sind sozial statt mathematisch. An der Universität von Minnesota ist das Verhältnis höher als 12. Und an der UCLA (University of California Los Angeles) ist das Verhältnis fast 16: kolossale 47 Titel und Beschreibungen von Kurse enthalten das Wort 'Multikulturalismus' oder 'Vielfalt', während nur drei das Wort 'Mathematik' enthalten." (Das Tolle an Bildungsreformen ist, daß es dabei kein "Gehe zurück auf Los" gibt, sondern daß man das heimliche erwünschte Ziel des Chaos mit jedem neuen Ansatz weiterführen und vorantreiben kann.)

In meinem Staat, Kalifornien, brauchen nun dreißig Prozent der Studierenden Förderkurse (remedial help), die in das ehemals gepriesene System der University of California (UCLA) geraten. Was die Fakultäten der California State University (Cal State) betrifft, zu der die meisten Fakultäten für Erziehungswissenschaften des Bundesstaates gehören, benötigen sechzig Prozent der Studenten Förderunterricht (remediation), und auf Fachoberschulen (city colleges) und berufsbezogenen Schulen (ommunity colleges -- vergleichbar mit berufsbildenden Schulen und Berufsfachschulen) benötigen sogar kolossale 90 Prozent Förderunterricht.

Dies bedeutet, daß Kinder in unserem K-12-System (Abkürzung für "Kindergarten bis 12. Schuljahr" -- also der Traum der ganzheitlich-ganztäglichen Kinderabschiebepraxis vom "Kindergarten bis zur Sekundarstufe") nicht richtig erzogen werden. Fehlende Strenge und falsche Schwerpunkte an Fakultäten für Erziehungswissenschaften tragen einen Großteil der Verantwortung.

Können unsere Schulen umgedreht werden? (Natürlich nicht, weil es kein "Gehe zurück auf Los" gibt -- wo sollte man im Fall einer Abkehr von der Leistungsgleichheit all die schlechten Noten unterbringen? Die Verursacher von Christdemokratten über Sozialdemokratten bis hin zu Freidemokratten würden die nicht einmal geschenkt nehmen und Grüne Freibeuter nur, wenn man damit demokratisch an die Macht kommt. Erziehungslager? Die sind für die Gegner der Leistungsgleichheit reserviert.)

Die Arizona State University (ASU), die das landesweit größte Vorbereitungsprogramm (prep program) für Referendare (undergraduate teacher) betreibt, hat gerade in diesem Jahr ein "radikales" neues Programm vorgestellt, in dem die Studierenden den Umgang mit speziellen pädagogischen Fähigkeiten demonstrieren müssen, die an einem gängigen pädagogischen Rahmen gemessen werden. Dazu verwendet die ASU das "Teacher Advancement Program" des "National Institute for Excellence in Teaching".

Nach Prüfung der Beschreibung dieses neuen Ansatzes zur Lehrerausbildung muß ich sagen, daß es solide aussieht. Anstatt sich mit den "gefühlsduseligen" Standardmethoden zu beschäftigen, benutzt das Programm objektive Maßstäbe, um Lehrer zu bewerten. Es bleibt abzuwarten, ob die fest verwurzelten "fortschrittlichen" Kräfte das "Teacher Advancement Program" abwürgen oder untergraben werden, es ist jedoch eine Herausforderung an den Status quo.

Unsere Fakultäten für Erziehungswissenschaften sind mit Fehlverhalten, das in keinem anderen Beruf toleriert worden wäre, meistens glimpflich davongekommen. Solange wir nicht etwas völlig anderes machen als bisher, werden wir auch weiterhin Lehrer hervorbringen, die Amerikas Kinder verbilden.
Hier finden Sie den Originalartikel, No Wonder Johnny (Still) Can’t Read.