Dienstag, 18. September 2012

Psychologin nannte Sandusky 1998 einen „wahrscheinlichen Pädophilen“

Wie es sich für eine neutrale Berichterstattung gehört, fanden die anonymen Journalisten von ASSOCIATED PRESS aber auch Psychologen, die das anders sehen.


Eine Psychologin, die 1998 eine Anschuldigung gegen Jerry Sandusky untersuchte, den ehemaligen Football Co-Trainer der Staatlichen Universität von Pennsylvania, sagte der Polizei zu jener Zeit, daß sein Verhalten dem Profil eines wahrscheinlichen Pädophilen entspricht, berichtete NBC am Samstag.

Doch Sandusky landete weder vor Gericht, noch wurde er in einem nationalen Register für mutmaßliche Kinderschänder eingetragen, und die Staatsanwälte sagen, daß er über ein Jahrzehnt weiterhin Kinder mißbrauchte, bis er im November (2011) verhaftet wurde.

NBC erhielt eine Kopie des Untersuchungsberichts der Universitätspolizei, in dem Sandusky unangemessener Kontakt zu einem 11-jährigen Knaben vorgeworfen wurde, mit dem er auf dem Campus der Staatlichen Universität von Pennsylvania nackt duschte.

Die Polizeiakte enthält den Bericht der Universitäts-Psychologin Alycia Chambers, die den Knaben interviewte und betreute.

Chambers schrieb: „Meine Gutachter sind sich einig, daß die Vorfälle alle unsere auf Erfahrung und Ausbildung basierenden Definitionen eines Musters eines wahrscheinlichen Pädophilen erfüllen, der im Kontext einer ‚liebevollen‘, ‚besonderen‘ Beziehung Vertrauen aufbaut und schrittweise körperliche Berührungen einführt.“

Allerdings schloß ein zweiter Psychologe, John Seasock, daß Sandusky den Jungen weder mißbraucht hätte, noch dem Profil eines Pädophilen entspricht.

Chambers und Seasock reagierten nicht sofort auf telefonische Anfragen, die am Samstag in ihren Büros eingingen.

Die Ankläger aus Centre County beschlossen schließlich, Sandusky nicht anzuklagen, und der Fall wurde abgeschlossen, bis eine Grand Jury den pensionierten Co-Trainer der Abwehr anklagte, den Knaben und neun andere über einen Zeitraum von 15 Jahren mißbraucht zu haben. Sandusky, der in mehr als 50 Fällen des Kindesmißbrauch angeklagt wird, plädierte auf unschuldig und wartet auf sein Verfahren.

Chambers Warnung an die Behörden wirft neue Fragen über das Versagen der Universität auf, Sandusky zu stoppen. Die Staatsanwälte behaupten, daß acht der 10 Jungen auf dem Campus mißbraucht wurden.

Die Staatsanwälte sagen, daß im Jahr 2002, vier Jahre nach der Untersuchung im Jahr 1998, die damalige wissenschaftliche Hilfskraft Mike McQueary Sandusky erwischte, als er in den Duschen einen Knaben sexuell mißbrauchte. McQueary meldete das, was er sah, dem Trainer Joe Paterno, der den Vorwurf wiederum den Universitätsbediensteten meldete. Dennoch gab es keine polizeilichen Ermittlungen.

Die Staatliche Universität von Pennsylvania sagte am Samstag in einer Erklärung, daß sie wegen den laufenden Ermittlungen keinen Kommentar abgeben würde.

Sandusky Anwalt, Joseph Amendola, sagte am Samstag zu ASSOCIATED PRESS, daß Seasocks Bericht „entlastend“ („exculpable“) wäre und daß der Vorfall von 1998 nicht so eindeutig wäre, wie Chambers es sich zusammenreimte.

„Wir könnten fünf Psychologen holen, Kinderpsychologen, die sich vielleicht auf sexuelle Dysfunktionen oder Pädophilie spezialisiert haben und den gleichen Fall betrachten und die mit den gleichen Leuten sprechen und die zu fünf verschiedenen Schlußfolgerungen kommen“, sagte er in einem Telefoninterview.

Der Vorwurf von 1998 war die erste bekannte Beschwerde über Sandusky. Eine Frau rief die Polizei der Staatlichen Universität von Pennsylvania an und sagte, sie wäre besorgt, nachdem ihr 11-jähriger Sohn ihr erzählte, er hätte mit Sandusky auf dem Campus nackt geduscht.

Die Staatsanwälte sagen, daß Sandusky den Jungen -- bekannt als Opfer 6 in der aktuellen Strafsache des Bundesstaates -- einseifte, von hinten ungestüm nackt umarmte, ihn hoch hob und seinen Kopf unter die Dusche hielt. Die Kriminalbeamten sagen, daß Sandusky, als die Polizei heimlich mithörte, der Mutter des Jungen später erzählte, daß die gemeinsame Dusche ein Fehler gewesen wäre und daß er sagte: „Ich wünschte, ich wäre tot.“

Die Beschwerde der Frau löste eine gesonderte Überprüfung durch das Sozialamt (State Department of Public Welfare) aus, die keinen Hinweis auf einen Mißbrauch durch Sandusky fand.

Doch der Ermittler des Sozialamtes, Jerry Lauro, sagte AP im Dezember, daß er keinen Zugang zu den Ermittlungsakten gehabt hätte. Am Mittwoch sagte er den Harrisburger PATRIOT NEWS, daß er den Fall nie abgeschlossen hätte, wenn ihm die Berichte von Chambers und Seasock bekannt gewesen wären.

„Der Lauf der Geschichte hätte geändert werden können“, sagte Lauro der Zeitung, die erstmals über die Existenz der beiden psychologischen Gutachten berichtete.

„Die Schlußfolgerungen, die sie in ihrem Bericht gezogen hatte, waren ziemlich vernichtend“, sagte Lauro der Zeitung. „Ich hätte eine andere Entscheidung getroffen .... Es ist unglaublich und mein Blutdruck geht hoch, wenn ich darüber nachdenke.“

Seasock, der mit der Kinder- und Jugendhilfe von Centre County arbeitete, interviewte den Knaben eine Stunde und schrieb in seinem Bericht, der auch in der Polizeiakte enthalten ist, die NBC erhielt, daß er nicht den geringsten Beweis auf „Anmache“ oder „unangemessenes sexuelles Verhalten“ von Sandusky fand.

„Alles, was er berichtete, kann in der Regel als normale Interaktion zwischen einem gesunden Erwachsenen und einem jungen männlichen Heranwachsenden definiert werden“, schrieb Seasock.

Bevor er seinen eigenen Bericht einreichte überprüfte Seasock laut Polizeiakte jedoch weder den Bericht von Chambers sowie die zuvor mit dem Knaben durchgeführten Interviews, noch eruierte er wichtige Details, einschließlich der Tatsache, daß Sandusky den Jungen geküßt und ihm gesagt hatte, daß er ihn liebte.

Amendola sagte, daß Chambers sich weigerte, für die Verteidigung zu sprechen, daß er es angesichts des NBC-Berichts aber erneut versuchen werde.

„Jedes Argument der Generalstaatsanwaltschaft über das Recht auf Aussageverweigerung ist aus dem Fenster“, sagte Amendola. Er sagte, er fand das Timing des NBC-Berichts eigenartig, weil er mehrere Tage später folgte, nachdem ein Richter den Generalstaatsanwalt beauftragte, die psychologischen Berichte an die Verteidigung zu reichen, sofern die Staatsanwälte das Gericht nicht davon überzeugen, daß sie nicht der Offenlegung unterliegen.

In einem Interview sagte Chambers zu NBC, daß sie erschüttert wäre, zu erfahren, daß Sandusky angeblich weiterhin Knaben mißbrauchte, lange nachdem sie die Vertreter der Staatlichen Universität von Pennsylvania vor ihm warnte.

„Es erschütterte mich, zu erfahren, daß es so viele andere unschuldige Knaben gab, die dem ausgesetzt waren, deren Herz und Geist verwirrt wurde, die verletzt wurden. Es ist unaussprechlich“, sagte sie.

Chambers sagte NBC, ihre Untersuchung im Jahr 1998 fand „Verhalten, das einem Sexualstraftäter entsprach, einem Pädophilen“.
Hier finden Sie den Originalartikel, Report: psychologist called Sandusky 'likely pedophile'