Sonntag, 5. Mai 2013

Was muß passieren, damit eine Frau ihren Rabbi des Mißbrauchs beschuldigt?

Tamar Rotem über Sex gegen Holocaust.
What does it take for a woman to accuse her rabbi of sexual harassment?

Es dauerte einige Zeit, bis A. klar wurde, daß sie von Rabbi Eliezer Berland sexuell mißbraucht wurde -- in ihren Augen ein heiliger und gerechter Mann -- und bis sie zur Polizei ging, um ihn anzuzeigen. Sie ist 18, verheiratet, und ihr hübsches Gesicht ist nach der sogenannten Jerusalemer Mode in ein schwarzes Kopftuch gehüllt. Sie steckt in einer Krise, nicht nur als Frau, die sexuell mißbraucht wurde, sondern auch als eine Frau, die inmitten eines einzigartigen Systems von Überzeugungen aufgezogen wurde, in dessen Mittelpunkt der Rabbi steht -- die gerechte Basis der Welt.

Als die Ernüchterung kam, brach für A. die Welt zusammen. Sie hörte auf zu arbeiten und ihr Leben dreht sich jetzt um das Gerichtsverfahren und die Kluft in ihrer Gemeinschaft, die sie meidet, seitdem sie bei der Polizei Anzeige erstattete.

„Ich bin die Tochter eines ehemaligen Schülers des Rabbiners“, sagt sie. „Mein Vater glaubt immer noch an ihn. Ich denke, daß er daran sterben würde, wenn er aufhören müßte zu glauben. Heute, jetzt, wo ich außerhalb stehe, verstehe ich, daß Shuvu Banim eine falsche chassidische Sekte ist, die nur hinter dem Geld her ist. Alles, was der Rabbi tat, war sehr eigenartig und nicht alltäglich. Er schrie, reiste nachts zu Tikkunim [Sitzungen der ‚geistigen Erneuerung‘] und wir folgten ihm. (Anm.: Tikkun hat viele Farben -- Tikkun Atzmi: sich selbst verbessern; Tikkun Kehila: unsere Gemeinschaften verbessern; Tikkun Am: das jüdische Volk verbessern; Tikkun Medina: den jüdischen Staat verbessern; Tikkun Olam: die Welt verbessern.)

Mein Ehemann ist ein gerechter Mensch. Unsere Vart [eine jiddische Bezeichnung für ein Ereignis, das einer Verlobung vorausgeht] war beim Rabbi. Wir warteten dort die ganze Nacht. Mein Mann schrie die Wachen an, uns hereinlassen, um den Rabbi zu sehen, und erst um 5 Uhr morgens zerschmissen wir einen Teller. ich freute mich so. Es war eine Frage des Stolzes gegenüber meinen Freundinnen, daß ich einen Bräutigam hatte, der einem Rabbiner hinterherjagte. Nach dem Schewa Brachot [die Woche nächtlicher Mahlzeiten und Segnungen nach einer Hochzeit], verfolgte mein Mann weiter den Rabbi. Er ging nach Hebron und nach Amuka [in Galiläa], wo immer der Rabbi war, jagte ihm mein Mann hinterher. Später schloß ich mich an.

Wir dachten, unsere Hingabe zu zeigen. Nach unserer Hochzeit hatte ich ein Jahr lang nicht einen einzigen Abend mit meinem Mann, weil ich mit der Verfolgung beschäftigt war: Wir waren die Schergen des Rabbiners. Es gab eine Gruppe von Frauen, die den Rabbi verfolgte. Der Rabbi erregte uns, er tauchte plötzlich aus dem Auto auf, tat Tikkun, und fuhr wieder los. Ich arbeitete von Mittag bis 16 Uhr, so daß ich Zeit hatte, morgens ein wenig zu schlafen, doch häufig machte ich ein Telefonat, um zu sagen, daß ich mich nicht wohl fühle. Also verdiente ich auch nicht richtig.

Mein Vater hatte uns eingeimpft, daß der Rabbi die Essenz an Spiritualität im Zuhause darstellt. Ich fing ebenfalls an, zum Rabbi zu gehen, weil wir gehört hatten, daß man einen Segen bekommen konnte. Früher sahen wir ihn aus der Ferne, doch jetzt wurde uns klar, daß man zu ihm hinein und ihn sehen konnte, ohne ein Vermögen zu bezahlen. Wir freuten uns und fingen an, nachts zu ihm zu gehen.

Das erste Mal ging ich mit einer anderen Frau zum Rabbi: Er gab uns einen Kuß auf die Stirn. Ein sanfter, gerechter Kuß. Zu der Zeit hielt ich es für nichts Ungewöhnliches, doch aus einem Kuß wurde ein Festhalten, Berühren, Lecken. Viele Frauen glauben nicht, daß der Rabbi [andere] berührte und küßte, weil er sie selbst nicht berührte. Das sind ältere Aschkenasim-Frauen.

Würde er sie berührt haben, dann hätten sie ihn abgemurkst. Also machte er es mit uns, den unschuldigen Jüngern. Seine Hände flatterten ständig über uns, damit wir es nicht fühlen. Er kam ganz nah und machte es schnell, ohne daß es klar wurde, mit drei oder vier Frauen im Raum -- die eine streicheln und eine andere umarmen. Eines Tages erklärte er meinem Mann: ‚Deine Frau wird das Privileg haben, in der Welt des Adels zu sein‘ [laut Kabbala ein höheres Reich der Seele]. Wir verstanden erst im Nachhinein, daß er ihn vorbereitete.

Ich kam wie gewohnt mit meinem Mann zu dem Rabbi und er sagte: ‚Du bleibst hier und du kommst mit mir.‘ Er sperrte mich in sein Zimmer und ging hinaus. Als er eintrat wies er auf das Bett. Ich erinnere mich nicht, was er zu mir sagte. Er küßte mich und steckte seine Zunge in meinem Mund. Er hielt mich ganz fest, meinen ganzen Körper, ganz nah an seinen, und er war furchtbar erregt und keuchte. Er erklärte mir: ‚Jetzt bist du in der Welt des Adels‘, und leckte mein Gesicht, bis es richtig klebrig war. Ich kämpfte mit mir selbst, nichts zu tun. Ich bin bis zum heutigen Tag davon traumatisiert.

Danach legte er seine Hände unter meine Bluse und befingerte mich brüsk. Und dann öffnete er die Tür und ich rannte zu meinem Mann und erzählte ihm aufgeregt, daß der Rabbi sagte, ich wäre in der Welt des Adels. Wir fingen an zu kämpfen, weil es mein Mann begriff.“

„Ich vermisse es, dich zu küssen“

A. sagt, Berland predigte oft sexuelle Enthaltsamkeit. „Er befahl mir und meinem Mann, uns neun Monate nicht zu berühren. Ab dem Zeitpunkt, an dem wir heirateten, waren wir prushim [verzichteten auf sexuelle Beziehungen]. Es hat uns umgebracht. Manchmal berührten wir uns und sagten dann: ‚Der Rabbi wird auf uns sauer sein.‘ Mein Mann und ich gingen hinein und ich fragte den Rabbi: ‚Wann werden wir mit Kindern gesegnet sein?‘ Er sagte: ‚Ihr berührt euch nicht gegenseitig? Ihr werdet besucht werden.‘ Wir waren naiv. Ich dachte, ich würde Kinder haben, nur weil mir der Rabbi versprach, wir würden besucht werden. Er sagte immer: ‚Gehe jetzt und tauche ein‘ [in ein rituelles Bad], als ob er sicher stellte, daß ich für ihn rein sein würde. Vor anderen Menschen fragte er: ‚Wann bist du gegangen, um unterzutauchen?‘ Ich flüsterte in sein Ohr, und er sagte vor den anderen, daß ich gegangen war. Ich schämte mich. Der Rabbi sagte die ganze Zeit: Ich liebe dich, vermisse dich, vermisse es, dich zu küssen. Er vermischte diese Art Gespräch mit heiligem Gerede. Und dann hörte er ganz plötzlich auf, mich anzurufen.“

Mit der Hilfe von einer erfahrenen Jüngerin der chassidischen Sekte der Brazlaw-Juden kam A. zur Besinnung. „Die Tochter des Chassid war eine Freundin von mir“, erklärt sie. „Sie ging jede Nacht zu dem Rabbi, wie ich. Nach dem Vorfall [der Mißbrauch] erzählte ihr ihr Vater von einer geheimen Schriftrolle, die von 18 Frauen berichtet, die jeweils an einer anderen Seite des Körpers des Gerechten [der Rabbi] gebunden waren und wie jede von ihnen an der Erlösung teilhat. Wir kamen zu ihrem Vater und fingen an, mit ihm darüber zu reden. Plötzlich sagte er: ‚Genug, es gibt keine geheime Schriftrolle. Der Rabbi ist verabscheuungswürdig.‘ Wir waren schockiert. Er rief unsere Ehemänner und erzählte es ihnen. Erst dann verstanden wir, was geschehen war, und alles explodierte.“

Zu den öffentlichen Verdächtigungen bezüglich des Mißbrauchs durch Berland kam es im Laufe einer polizeilichen Ermittlung wegen einem Streit und einer Schießerei in der chassidischen Sekte. Die Untersuchung ergab, daß der Streit nach einem Versuch ausbrach, Itai Nachman Shalom zum Schweigen zu bringen, ein Jünger von Berland, der ihn beim Sex mit einer Frau aus der Gemeinde beobachtete und darüber nicht schweigen wollte. Seit dem Ausbruch des Skandals vor ein paar Monaten spaltete sich die „Shuvu Banim“-Sekte zwischen den Befürwortern des Rabbis und Gegnern.

Berland, der jetzt offenbar in den Vereinigten Staaten ist und von Anwalt Jacob Weinroth aus Tel Aviv vertreten wird, weiß, daß gegen ihn ermittelt wird.

Frauen aus der Gemeinschaft bieten nun denjenigen Unterstützung, die sagen, daß sie mißbraucht wurden und ermutigen sie, Hilfe zu suchen. Die Frauen wollen anonym bleiben, weil sie den Zorn von Schlägern aus der Sekte fürchten. Sie erklären, daß Berland schwache Frauen durch sein Charisma gewaltsam ausnutzte. Beide sagen, er und seine Jünger erklärten den Frauen, sie würden dem Rabbi durch ihre Unterwerfung „helfen“, die iranische Bedrohung Israels zu bekämpfen und verhindern, daß ein Holocaust das eigene Volk heimsucht. Sie sagen, daß viele Frauen verletzt wurden, jetzt aber den Mund halten.

Eine Facebook-Seite für die mutmaßlichen Mißbrauchsopfer des Rabbis der chassidischen Sekte, die von einer charedischen Frau gestartet wurde, hat eine stetig wachsende Zahl an Besuchern. Laut der Frau, die die Seite verwaltet, stehen mehrere Frauen privat mit ihr in Kontakt und erklärten, daß sie ebenfalls sexuell mißbraucht wurden. Die Beschreibungen sind ähnlich: „Sie kamen in den Raum, um vom Rabbi den Segen zu empfangen und es endete mit Lecken, streifenden Händen und Aussagen wie: ‚Ich nehme von dir alle Vergehen.‘“ Sie fügt hinzu, daß einige der Frauen sagen, von Berland anschließend Geld erhalten zu haben, zwischen 500 und 1.000 Dollar, aber Angst haben, sich zu beschweren und nicht bereit sind, mit den Behörden darüber zu sprechen.
Hier finden Sie den Originalartikel, What does it take for a woman to accuse her rabbi of sexual harassment?