Freitag, 15. Februar 2013

Der Genozid in der Vendée

Kopiert und eingefügt aus »Hat sich die Revolution gelohnt?« von René Sedillot.
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»Es gibt keine Vendée mehr! Sie ist unter unserem Säbel der Freiheit gestorben mit ihren Frauen und Kindern. Ich habe sie in den Sümpfen von Savenay beerdigt. Ich habe die Kinder von den Hufen meiner Pferde zertreten lassen und die Frauen massakriert, die jetzt keine Straßenräuber mehr gebären werden. Ich habe mir nicht einen einzigen Gefangenen vorzuwerfen. Ich habe alles ausgelöscht ... Die Landstraßen sind mit Leichen übersät. An manchen Stellen sind sie so zahlreich, daß sie Pyramiden bilden.«

Solchermaßen legte der General Francois Westermann Rechenschaft ab von seinen Großtaten, die im übrigen den Anordnungen des Konvents entsprachen, der durch Erlaß vom 2. August 1793 die systematische Zerstörung und Brandschatzung des ganzen Landes, einschließlich der Ernten und die Auslöschung der Rebellen, verfügt hatte.

Die Frage stellt sich, ob der Begriff Genozid hier angemessen ist. Der Begriff stammt aus dem Jahr 1944 und wurde zur Bezeichnung der jüdischen Tragödie geprägt. Gewisse Kommentatoren, die ihn zu »emotional und symbolisch« belastet finden, ziehen im vorliegenden Fall den Begriff »Massaker« vor. Der Unterschied ist subtil. Wenn man sich aber an das Zahlenverhältnis von Opfern zu dem betroffenen Volk hält, dann haben die Bewohner der Provinzen Westfrankreichs unter der Revolution noch zahlreicher ihr Leben gelassen als die Juden unter der Besatzung zur Hitlerzeit. In beiden Fällen läßt sich ein entschiedener Wille zur Vernichtung ausmachen.

Die Bewohner der Vendée und die »Chouans« hatten sich zunächst erhoben, weil sie die Aushebung ablehnten, aber auch zur Verteidigung ihres Glaubens und ihres Königs. Ihre Waffen hatten sie sich »buchstäblich aus den Magazinen der Militärs geholt oder den Händen besiegter Republikaner entrissen« (Michelet). Sie schlugen sich im Namen des Herzen Jesu und für den »kleinen König, der im Tempel ist«, inmitten einer großen katholischen und königstreuen Armee, die mehr Mistgabeln als Gewehre und mehr Ehrgeiz als Mittel besaß, deren Anführer aufeinander eifersüchtig waren, sich nicht kannten oder miteinander im Streit lagen.

Wie alle Bürgerkriege ist auch dieser nicht zu sühnen. Ein merkwürdiger Krieg, in dem manchmal die Rollen vertauscht waren, wenn zum Beispiel die »Blauen« (Republikaner) kommandiert wurden vom Herzog von Biron und die »Weißen« (Royalisten) von dem Jagdaufseher Stofflet oder dem ehemaligen Salzarbeiter Cottereau, genannt Jean Chouan. Von beiden Seiten wurde der Krieg bis aufs Messer geführt: die beiden Lager wetteiferten miteinander in Scheußlichkeiten.

Wenn durch Zufall einmal einer der Royalistenführer Milde zeigte, sorgte man dafür, daß seine Geste nicht bekannt wurde: Bonchamp rettete fünftausend republikanischen Kriegsgefangenen das Leben, und Merlin de Thionville, der in die Vendée geschickt worden war, setzte den Wohlfahrts ausschuß davon in Kenntnis, fügte aber folgende Empfehlung hinzu: »Über diesen unglücklichen Vorgang muß der Mantel des Vergessens gebreitet werden. Sprecht am besten nicht einmal im Konvent davon ... Die Strauchdiebe haben keine Zeit, zu schreiben oder Zeitungen herauszugeben. Man wird es wie so vieles andere vergessen.«

Die Gegner führten einen ungleichen Kampf. Hatten die Bauern den Geländevorteil, so besaßen die Armeen der Republik die bessere Organisation und Bewaffnung und den Vorteil einer größeren Zerstörungswut.

Erlaß vom 1. November 1793, auf einen Bericht von Barere hin: »Jede Stadt, die in ihren Mauern Straßenräuber aufnimmt oder sie nicht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln abgewehrt hat, wird bestraft wie eine aufständische Stadt und folglich dem Erdboden gleichgemacht.«

Bericht des Generaladjutanten Rouyer: »Wir erschießen alles, was uns in die Hände fällt, Gefangene, Verwundete, Kranke in den Hospitälern.«

Anweisungen des Generals Turreau, der die »Kolonnen der Hölle« befehligte: »Alle Straßenräuber, die angetroffen werden mit der Waffe in der Hand, sind mit dem Bajonett niederzumachen. Genauso ist mit Frauen und Kindern in solchem Fall zu verfahren. Verdächtige sind davon nicht ausgenommen.« »Alle Ortschaften, Pachthöfe, Wälder, Ginsterbüsche und ganz allgemein alles, was brennbar ist, hat in Flammen aufzugehen.« »Ich wiederhole, ich halte es für unabdingbar, Städte, Ortschaften und Pachthöfe niederzubrennen«: mit ihren Bewohnern, wenn möglich.

Bericht des Kommandanten der zweiten Kolonne desselben Generals Turreau: »Ich verbrenne und töte weiterhin alle, die Waffen gegen uns erhoben haben. Es geht voran, wir machen mehr als hundert pro Tag nieder, schließlich alle, die wir für unsere Feinde halten.«

Bericht von Nevy, der die fünfte Kolonne befehligte: »Ich brenne und haue die Köpfe ein wie gewöhnlich.«

Brief des Statthalters Francastel an den Wohlfahrtsausschuß: »Klinge und Feuer sind noch nicht ausreichend zur Anwendung gelangt in diesem verfluchten Land.«

Brief des Statthalters Garnier an den Wohlfahrtsausschuß : »Man hat mir versichert, die Armee habe ihnen dreitausend Frauen getötet. Die warfen ihre Kinder in den Fluß von Pontaux-Baux, und das ganze Land ringsum ist übersät mit ihren Toten. Trotzdem findet man sie noch überall wie Heuschrekkenschwärme, und beinahe wäre man versucht, an ihre Wiederauferstehung zu glauben, wenn der Pestgestank ihrer Leichen nicht das Gegenteil bezeugte.«

Brief des Kommandanten Périguaud an Turreau: »Väter, Mütter, Kinder, alles wurde vernichtet.«

Befehl von Grignon an seine Truppen: »Ich weiß, daß es hier in diesem Land einige Patrioten geben mag, aber das ist gleichgültig, wir müssen alles opfern.«

Bericht von Duquesnoy: »Ich habe alle Häuser angezündet und verbrannt und allen Einwohnern, derer ich habhaft werden konnte, die Kehle durchgeschnitten.«

Bericht von Cordelier: »Ich habe ungefähr 600 Einzelpersonen beiderlei Geschlechts hinter die Hecke geführt (= zur Hinrichtung mit dem Bajonett).«

Das war die Vorwegnahme des Verfahrens von Oradour, nach Belieben gesteigert. In Le Mans arbeiteten Erschießungskommandos, wurden Kinder niedergemacht, Frauen vergewaltigt. In einem Rausch von Sadismus führte man in die Körper der Opfer Patronen ein, die dann gezündet wurden. Frauen, die noch am Leben waren, spießte man mit Mistgabeln auf. Am nächsten Morgen veranstaltete Westermann eine Treibjagd, um die Überlebenden niedersäbeln zu lassen.

In Nantes, wo man die Gefangenen von Savenay zusammengepfercht hatte, begann der Vertreter des Konvents, Jean Baptiste Carrier, mit Gruppenerschießungen von einhundert bis zweihundert Menschen. Dies Verfahren erschien ihm aber nicht zügig genug, zumal von den Leichenhaufen Epidemien drohten. Warum also nicht die Loire dazu benutzen, die Republik von all denen zu säubern, die ihre Wohltaten zurückwiesen? Er versenkte auf dem Fluß einen Leichter, auf dem man zuvor 90 Priester zusammengedrängt hatte. Aber das war nur ein erster Versuch. Die Technik der Ertränkung wurde ausgearbeitet: Jede Nacht holte man aus den Gefängnissen einhundert bis zweihundert Gefangene, warf sie in den Laderaum von Booten, deren Ladeluken und Brücke sorgsam zugenagelt wurden, und ließ die Boote absaufen. Carrier nannte diese Bäder »senkrechte Deportationen«. Wenn die Männer und Frauen aneinandergebunden ertränkt wurden, hieß das »republikanische Ehen schließen«. Nach diesen Großtaten wurde die Loire zur »nationalen Badewanne« erhoben. Sie war voll mit Leichen, von denen sich Fische und Raben ernährten. Der Geschäftsträger des Konvent konnte sich damit brüsten, 4 000 bis 5 000 Männer, Frauen und Kinder ertränkt zu haben. Und er rühmte sich dessen und setzte die Zahl noch höher an. In sechs Ertränkungsaktionen belief sich die Zahl der Opfer nach vorsichtigsten Schätzungen auf 1 800, davor vielleicht 800 für das erfolgreichste Bad. Es ist aber durchaus möglich, daß die »republikanischen Hochzeiten« in den Bereich antirevolutionärer Propaganda gehören.

In Angers wollte der Bürgermeister nicht nachstehen: »In drei Tagen«, schrieb er, »haben wir etwa 800 Banditen in Pont-de-Cé erschossen und ihre Leichen in die Loire geworfen.«

In Quiberon mußten im Juni 1795 die »Chouans« und die Emigranten, die mit ihnen kämpften, kapitulieren. Der General Humbert versprach, ihr Leben zu schonen. Hoche, der den Befehlen des Konvents gehorchte, wandte das Gesetz an: 925 Gefangene wurden bei Sainte-Anne d'Auray auf dem Märtyrerfeld erschossen.

Dies war die letzte Episode einer »Endlösung«, über die sich die Statthalter Hentz und Francastel sehr zufrieden zeigten. Sie schrieben nach dem 21. April 1794: »Ihr könnt versichert sein, daß die Vendée einer Wüste gleicht und es dort keine 12 000 lebenden Menschen mehr gibt.« Carrier seinerseits veröffentlichte sein Glaubensbekenntnis: »Eher werden wir aus Frankreich einen Friedhof machen, als daß wir es nicht auf unsere Art erneuern.«

Die Gesamtschätzung der Zahl der Opfer schwankt zwischen dem Ein- und Sechsfachen: niedrigste Schätzung 100 000, höchste 600 000. Die 117 000 Vermißten, die Reynald Secher anführt (Le Génocide franco-français,),bezieht sich nur auf die Départements der »militärischen Vendée«. Die höchste Zahl findet sich bei Pierre Chaunu, der sich als Demograph dazu äußert, wie auch bei Alexandre Sanguinetti in seiner »Histoire du soldat«. Sie versteht sich für die »Blauen« und die »Weißen« ohne Unterschied, für die von einer »weißen« Waffe Getöteten, von einem Jagdgewehr oder dem Gewehr Modell 1777, für die Opfer von Krankheiten, der Hungersnot in einem verbrannten Land, von Massenhinrichtungen, für die Verwundeten, die zugrunde gingen an der mangelnden medizinischen Versorgung: Bürgerkriege sind unerbittlich.

Wir bleiben hier bei einer mittleren Zahl in der Größenordnung von 400 000. Sie umfaßt gleichzeitig die im Kampf gefallenen Aufständischen in der Bretagne, der Vendée, die Toten des republikanischen Lagers und die der anderen Provinzen des Westens: von der Normandie bis zur Gironde.

Diese traurige Rechnung muß noch ergänzt werden durch die Opfer der vielfältigen Bruderkriege, namentlich in der Lyoner Gegend, in der Provence und in Korsika, dann durch die Opfer der weißen Terreur: diejenigen von 1795 zur Zeit der Genossen Jesu, die von 1815 zur Zeit der »Verdets«, während der Ermordung des Marschall Brune in Avignon und des General Ramel in Toulouse. Alle diese blutigen Abrechnungen unter Franzosen erhöhen die Gesamtbilanz der Bürgerkriege auf ungefähr 600 000.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Rechnung der von Revolution und Kaiserreich verursachten Verluste: 400 000 Tote in den Kriegen bis 1800, eine Million in den napoleonischen, 600 000 in den innerfranzösischen Kriegen, und das Schafott als Denkmal. Das sind unsere zwei Millionen Toten.
Woher hatten die bloß diese mörderischen Gedanken?

Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit oder der Tod

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