Montag, 11. März 2013

Politik und Astrologie in der Weltgeschichte

Kopiert und eingefügt aus „Die Psychologie des Aberglaubens“, Kapitel 2: Der abergläubische Mensch, von Stuart A. Vyse.
Spitzensportler mit Maskottchen, das ihm seit seiner Kindheit Glück bringt

Unterschiede im magischen Denken bei Individuen und Gruppen

Der Aberglaube von Schauspielern leitet sich zum großen Teil von dem Gefühl ab, man brauche „alle Hilfe, die man kriegen könne“, um es zu schaffen und einen Auftritt durchzustehen. Der Gedanke, ein Ort, Zeitpunkt, Bühnenbild oder Kostüm habe eine besondere Bedeutung und es gäbe irgendein Omen oder Amulett, auf das man zurückgreifen könne, hat etwas Tröstliches. Schauspieler tragen häufig bei ihren Routineaufgaben „etwas Glückbringendes“. Hollywood ernährt eine Reihe hoch bezahlter Astrologen, die dem Himmel gute Nachrichten für ihre Klienten zu entlocken wissen. Irgend etwas muß sie anfeuern, wenn schon nicht aus dem Publikum, dann aus einer Galaxie. Stars vertrauen auf die Sterne.

Garry Wills, „Reagan's America

Im Mai 1988 veröffentlichte Donald Regan, unter Präsident Ronald Reagan Stabschef im Weißen Haus, seine Memoiren. Sein intimer Einblick in das Privatleben des Präsidenten enthüllte, daß Nancy Reagan, die Gattin des Regierungsschefs, sieben Jahre lang eine Astrologin beschäftigt hatte; diese beriet sie bei allen möglichen Fragen, darunter auch solche, die die Regierungsgeschäfte direkt betrafen. Regan berichtete: „Praktisch jede Entscheidung, die die Reagans während meiner Zeit als Stabschef des Weißen Hauses trafen, wurde vorab von einer Frau in San Francisco abgesegnet; sie stellte Horoskope, um zu erkunden, ob die Planetenkonstellation für das Vorhaben auch günstig war.“ Er behauptete, Frau Reagan „bestand darauf, über den Zeitpunkt jeder Handlung des Präsidenten befragt zu werden, damit sie ihre Freundin in San Francisco bezüglich der astrologischen Faktoren konsultieren konnte.“ An den Tagen, die als „schlecht“ eingestuft wurden, sagte man Ansprachen und Pressekonferenzen ab, manchmal sogar alle für diesen Tag geplanten Reisen. Da Regan das Thema nie mit dem Präsidenten selbst besprach, wußte er nicht, wie weit dieser über das Ausmaß der Kontrolle, die die Sterne auf seine Regierung ausübten, informiert war.

In ihren eigenen Memoiren „Jetzt kann ich reden“ gab Frau Reagan zwar zu, daß sie nach dem gescheiterten Attentat auf ihren Mann im März 1981 regelmäßig die Astrologin Joan Quigley bezüglich der Pläne des Präsidenten konsultiert hatte, beteuerte jedoch: „Joans Empfehlungen hatten mit politischen Maßnahmen oder Meinungen nichts zu tun.“ Quigley dagegen behauptete:

„Ich war an dem, was in den Beziehungen zwischen den Supermächten ablief, stark beteiligt und veränderte auch Ronald Reagans Haltung zum ‚Reich des Bösen‘, so daß er nach Genf ging und darauf vorbereitet war, eine andere Art russischen Führers zu treffen.“

Obwohl der Glaube an die Astrologie, wie wir gesehen haben, weit verbreitet ist, geriet die Reagan-Regierung nach diesen Enthüllungen in eine recht peinliche Lage, so daß Frau Reagan der Rechtfertigung ihres Verhaltens ein ganzes Kapitel widmen mußte. Sie räumte verständlicherweise ein, Angst um das Leben ihres Mannes gehabt zu haben. Kurz nach seinem Amtsantritt entkam der Präsident nur ganz knapp einem Anschlag, während in den Monaten danach Papst Johannes Paul II. vor dem Petersdom verwundet und Präsident Anwar as-Sadat in Kairo getötet wurde. Außerdem gab es da noch den „Fluch der 20 Jahre“: Seit 1840 war jeder Präsident, der in einem Jahr mit der Endzahl „0“ gewählt oder wiedergewählt wurde, während seiner Amtszeit entweder gestorben oder getötet worden. Ronald Reagan war 1980 zum Präsidenten gewählt worden, nach einer Wahlkampagne, die von zahllosen Zeitungsartikeln zum „20jährigen Todeszyklus“ begleitet war. Frau Reagan war anfänglich nicht sonderlich beunruhigt gewesen, doch nun, „nachdem mein Mann Präsident und Ziel eines Anschlags geworden war, begann mich diese historische Regelmäßigkeit zu ängstigen.“

Frau Reagans Motiv war die Furcht um die Sicherheit ihres Ehemannes. Was aber bewegte sie dazu, sich ausgerechnet an eine Astrologin zu wenden, wo ihr doch so viele andere Wege offenstanden? Die Antwort liefert der Hintergrund ihres Handelns:

Ein weiterer Grund, warum ich der Astrologie relativ offen gegenüberstand, war der, daß ich in meinem Leben sehr viel mit Leuten aus dem Showbusiness zu tun gehabt habe. In diesen Kreisen ist der Hang zu Aberglauben und anderen wissenschaftlich nicht verifizierbaren Glaubenssätzen weit verbreitet und wird allgemein akzeptiert. Vielleicht kommt das daher, daß die Unterhaltungsbranche so unberechenbar und logischen Erklärungen nicht zugänglich ist. Angefangen bei meiner Mutter bis hin zu fast jedem Künstler, den ich kannte, war jeder zumindest leicht abergläubisch. Da hieß es zum Beispiel: Pfeifen in der Garderobe bringt Unglück. Wirf nie deinen Hut aufs Bett. Und verstau deine Schuhe niemals so, daß sie sich höher befinden als dein Kopf.

Herr Reagan und seine Frau waren Produkte einer Unterhaltungsbranche, die wie die Welt des Sports und des Glücksspiels eine traditionelle Hochburg des Aberglaubens darstellt. Frau Reagan war zweifellos der Meinung, sie benötige alle Hilfe, die sie zur Gewährleistung der Sicherheit ihres Mannes bekommen könne. Durch ihren Hintergrund war sie davon überzeugt, die Astrologie sei die richtige Antwort auf die Wechselfälle des Lebens.

Bei Einzelpersonen liegen abergläubische Gefühle irgendwo zwischen völliger Ablehnung und absoluter Billigung; die Menschen, die sich am jeweils äußersten Ende dieser Skala befinden, unterscheiden sich möglicherweise in vieler Hinsicht. In diesem Kapitel untersuchen wir die Unterschiede im Aberglauben bei Einzelpersonen und Gruppen und versuchen, das Profil eines typischen abergläubischen Menschen zu zeichnen. Dabei gehen wir vom Allgemeinen zum Besonderen vor. Wir beginnen damit, abergläubische soziale Gruppen und die Beziehung zwischen Aberglauben und dem Glauben an Übernatürliches nach weitgefaßten demographischen Kriterien zu untersuchen: Geschlecht, Alter und Bildungsstand. Schließlich werden wir die persönlichen Charakteristika betrachten, die mit solchen Glaubenssätzen verbunden sind. Zuallererst jedoch werfen wir einen Blick auf abergläubische Subkulturen.

Traditionell abergläubische soziale Schichten und Berufsgruppen

Der landläufigen Meinung zufolge gibt es eine Reihe von Gruppen, die von Natur oder aus Notwendigkeit abergläubisch sind. Es heißt, diese Menschen hingen einem Aberglauben an, der für ihre soziale Gruppe typisch oder überhaupt nur dort zu finden sei. Eine solche Meinung über Schauspieler wird von Frau Reagans Aussage belegt. Wünscht ein Kollege „Hals- und Beinbruch!“, dann verstehen wir dies als Beschwörung des Glücks und nicht als bösen Wunsch. Auch Wade Boggs ist ein Beispiel -- wenngleich ein sehr krasses -- für einen abergläubischen Vertreter einer traditionell abergläubischen Berufsgruppe. Wie wir noch sehen werden, stehen Profi- wie Amateursportler insgesamt in dem Ruf, abergläubisch zu sein. Zu weiteren abergläubischen Gruppen zählen Spieler, Seemänner, Bergleute, Soldaten, Kapitalanleger und -- überraschenderweise -- Studenten. Obwohl es zahlreiche interessante Anekdoten über abergläubisches Verhalten bei diesen Berufsgruppen gibt, wurden bisher nur wenige systematische Untersuchungen durchgeführt. Die besten Studien gibt es über Sportler an Schulen und Universitäten, Collegestudenten und Craps-Würfelspieler.

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