Freitag, 9. November 2012

Aus der Ära Bill Clinton: US-Chefärztin tritt zurück, Masturbationsstreit

John Roberts über das schönste Schulerlebnis von morgen.

(Anmerkungen in Klammern)


17. Dezember 1994 -- Amerikas Chefärztin trat letzte Woche zurück, nachdem sie erklärte, daß Masturbation ein geeignetes Unterrichtsthema für Schüler sein könnte. Präsident Bill Clinton bat Gesundheitsministerin Joycelyn Elders zu gehen, nachdem sie Konservative verärgerte, als sie die Möglichkeit diskutierte, durch die Förderung von Masturbation sexuell übertragbare Krankheiten zu verhindern. Sie machte diese Äußerungen bei einem AIDS-Treffen der Vereinten Nationen in New York.

Elders, 61, vor etwa zwei Jahren ernannt, war in gesundheitlichen Angelegenheiten bisher sehr entschieden. Sie schlug vor, in Schulen kostenlos Kondome zu verteilen und kritisierte die katholische Kirche. 1992 forderte sie Abtreibungsgegner auf, „ihre Liebesbeziehung mit dem Fötus zu überwinden“. Im nächsten Jahr erklärte sie: „Sehen Sie, wer die Abtreibungs-Bewegung (pro-choice -- hierzulande „mein Bauch gehört mir“ oder dichterisch wertvoll „ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine“) bekämpft: Eine Kirche, die von zölibatären Männern beherrscht wird.“ Sie betonte besonders das Verhältnis zwischen öffentlicher Gesundheit und Armut.

Ihr Ton hat die Konservativen entfremdet, vor allem die Republikaner, und viele sagen, daß die letzten Wahlen ihren Arbeitsplatz in Gefahr gebracht hätten (hust), da Clinton nun mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress zurechtkommen muß. Medienberichten zufolge wurde Elders von Clinton und seinen engen Mitarbeitern gewarnt, „kontroverse Themen“ zu unterlassen.

Doch bei der UN-Konferenz Anfang dieses Monats (Dezember 1994) wurde sie gefragt, ob Masturbation als eine Möglichkeit zur Prävention von Infektionskrankheiten gefördert werden sollte. „Im Hinblick auf Ihre konkrete Frage in Bezug auf die Masturbation denke ich, daß das ein Teil der menschlichen Sexualität ist, und etwas, das wohl gelehrt werden sollte“, lautete ihre Antwort. „Doch wir haben unseren Kindern nicht einmal die Grundlagen gezeigt. Ich glaube, daß wir uns eine sehr lange Zeit um Unwissenheit bemüht haben, und daß es an der Zeit, daß wir uns um Bildung bemühen.“

Als Clinton letzte Woche über ihre Erklärung unterrichtet wurde, soll er gesagt haben: „Sie muß zurücktreten.“ Sie trat zwar zurück, doch Clintons oberster Berater sagte, wenn sie sich geweigert hatte „wäre sie entlassen worden“.

Der Chefarzt -- der sogenannte „Surgeon General“ -- ist der ranghöchste Arzt in den USA und leitet den öffentlichen Gesundheitsdienst (und ist eigentlich ein Gesundheitsumerzieher). In den vergangenen Jahren war die Aufgabe einigermaßen unumstritten, mit Ausnahme der Berichte über Tabak in den frühen 1960er Jahren.

C. Everett Koop, ein konservativer Kinderchirurg (der 1979 in seinem Buch „Whatever Happened to the Human Race“ schrieb, daß Dinge, die in den 1970ern undenkbar gewesen sind, in den 1990er Jahren denkbar sein werden, darunter Sex zwischen Erwachsenen und Kindern), der während der Reagan-Regierung (im Januar 1982) ernannt wurde, schuf für den Chefarzt jedoch bald eine ganz neue Rolle. Er argumentierte, daß er die öffentliche Gesundheit vor die Politik stellen muß und setzte sich für öffentliche Sexualerziehung und Kondome für Teenager ein. Koop wurde leise aus der Regierung gedrängt, und Dr. Joycelyn Elders' Versuch, seinen Stil nachzuahmen führte letzte Woche zu ihrem öffentlichen Absturz. Schwulenrechte und Abtreibungsrechte-Organisationen begegneten ihren Abgang mit beißender Kritik.
Hier finden Sie den Originalartikel, Surgeon general resigns in masturbation row.