Sonntag, 19. Januar 2014

Z — Ein Interview mit einem jüdischen Hitler

Kopiert und eingefügt aus »Im Lande Israel« von Amos Oz (Seite 74-86) von 1983.

Im Lande Israel

Laut Israel Schamir handelt es sich bei Z. um Ariel Scharon, der Amos Oz ein Interview gab, das am 17. Dezember 1982 in der israelischen Tageszeitung DAVAR erschein. Das Interview wurde 1982 im Buch »Amos Oz: Poh va-sham be-Erets-Yisra'el bi-setav« unter Verwendung der Abkürzung Z., 1983 im Buch »Amos Oz: Les voix d'Israël« unter Verwendung der Abkürzung T., 1984 im Buch »Amos Oz: In the Land of Israel« unter Verwendung der Abkürzung C. und am 3. September 2001 in »Lettre N° 2« auf FAITS ET DOCUMENTS veröffentlicht.

Aufgrund des folgenden Satzes auf Seite 82 kann die interviewte Person aber nur dann der blonde Ariel Scharon sein, wenn es 1982 eine weitere israelische Persönlichkeit mit dem Namen Sharon gab: »Und ich sagte dir bereits: ich bin bereit, die kriminelle Vergangenheit auf mich zu nehmen, zusammen mit Sharon und Begin und General Eitan.« — Wie auch immer, hätte die interviewte Person identifiziert und mit Begin und General Eitan international zur Fahndung ausgeschrieben werden müssen.

[Ausgelagerte Fußnoten wurden in eckige Klammern gesetzt und in den Text eingefügt]

Über den Weichlichsten und sehr Verwöhnten

»Von mir aus kannst du mich nennen, wie du willst. Nenn mich ein Monstrum. Nenn mich einen Mörder. Merk dir aber bitte, daß ich Araber nicht hasse. Im Gegenteil, ich selbst fühle mich unter ihnen — besonders unter den Beduinen — viel wohler als unter den Dschidden [Dschidd — Schimpfname für Jude in den slawischen Ländern, besonders Polen], die Araber — diejenigen, die wir noch nicht verdorben haben — sind stolze und logische Menschen, grausam oder großzügig, je nach den Umständen. Die Dschidden sind total krumm. Wenn man sie aufzurichten versuchte, müßte man sie mit aller Kraft zur anderen Seite biegen. Das ist in einem Satz meine ganze These.

Von mir aus: gib auch dem Staat Israel irgendeinen Schimpfnamen, der dir gefällt. Nenne ihn Judeo-Nazi, wie Leibowitz [Prominenter Naturwissenschaftler und radikaler Philosoph]. Warum auch nicht? Wie sagt man doch? Besser ein lebender Judeo-Nazi als ein toter Heiliger. Mir, mir macht es nichts aus, Gaddafi zu sein. Ich suche bei den Gojim keine Bewunderung und brauche nicht ihre Liebe. Ich brauche es auch nicht von Juden deiner Sorte. Ich muß überleben. Und es ist zufällig meine Absicht, daß auch meine Kinder überleben. Mit oder ohne den Segen des Papstes und anderer Tara-Gelehrter von der ›New York Times‹. Jeden, der Hand an meine Kinder legt, werde ich mitsamt seinen Kindern vernichten — mit oder ohne die berühmte Waffenreinheit —, und es interessiert mich nicht, ob er Christ, Moslem, Jude oder Götzendiener ist. Durch die ganze Geschichte hindurch wurde derjenige, der nicht töten wollte, von seinem Nachbarn getötet. Das ist ein unabänderliches Gesetz.

Auch wenn du mir einen mathematischen Beweis lieferst, daß der Krieg, den wir jetzt im Libanon führen — wir haben ihn noch nicht beendet —, ein schmutziger Krieg ist, ein unmoralischer, pfui, das ist nicht unser Stil — kümmert's mich nicht. Darüber hinaus möchte ich dir sagen: auch wenn du mir den mathematischen Beweis lieferst, daß wir im Libanon nichts erreicht haben und keines unserer Ziele erreichen werden, kein freundliches libanesisches Regime, nicht die Zerschlagung der Syrer, nicht die Zerstörung der PLO, kein Hadad und keine vierzig Kilometer, auch dann kümmert's mich nicht: es hat sich gelohnt. Und selbst wenn es sich herausstellt, daß in einem Jahr Galiläa wiederum Ziel der Katyuschas ist, auch das kümmert mich nicht so sehr. Wir werden noch so einen Krieg führen, doppelt soviel töten und zerstören, bis sie es satt haben. Und weißt du, warum sich alles gelohnt hat? Weil, wie es scheint, die ernsthafte Aussicht besteht, daß dieser Krieg uns wieder den Haß der gesamten sogenannten zivilisierten Welt zugezogen hat. Endgültig. Und von jetzt an hört vielleicht das Gerede von der Aussschließlichkeit [sic!] der jüdischen Moral ein für allemal auf. Von der moralischen Lehre aus Holocaust und Verfolgungen, von den Juden, die rein und geläutert aus den Gaskammern herauskommen sollten. Schluß. Wir sind jetzt fertig mit diesem Müll. Die kleine Verwüstung in Tyros und Sidon, die Zerstörung in Ein-Hilwe (schade, daß wir dieses Nest von Ungeziefer nicht vollkommen ausgeräuchert haben), die ordentlichen Bombardierungen von Beirut, und das klitzekleine Massaker — fünfhundert Araber, auch ein Massaker! — in jenen Lagern (schade, daß die Phalangisten es getan haben, und nicht wir mit unseren zarten Händen!) — alle diese Gebote und guten Taten machten endgültig Schluß mit dem Geschwätz über das ›Auserwählte Volk‹ und über ›Licht für die Völker‹. Alles Unfug! Schluß: keine Erwählung und kein Licht und gelobt sei Gott, der uns hiervon befreit hat.

Hör zu, ich persönlich habe überhaupt keine Lust und auch keinen Grund, besser zu sein als Khomeini, Breschnew, Gaddafi, Assad, Frau Thatcher oder Harry Truman, der eine halbe Million Japaner mit zwei guten Bomben getötet hat. Gescheiter sein als sie, ja! Ich möchte klüger, geschickter und tüchtiger sein als sie, auf keinen Fall aber habe ich den Ehrgeiz, besser und schöner als sie zu sein. Sag mal selbst: die Bösewichte, geht's ihnen denn schlecht in dieser Welt? Fehlt ihnen etwas? Wer sie auch nur anzufassen versucht, dem hacken sie Hände und Füße ab und sogar dem, der ihnen nichts antut. Alles, worauf sie Appetit haben, jagen und zerreißen sie, wenn sie nur genügend Kraft dazu haben. Und sie büßen nicht mit Magenbeschwerden oder werden vom Himmel bestraft. Deshalb möchte ich von jetzt an auch Israel in diesen Klub eintreten sehen. Viel Glück! Vielleicht wird die Welt endlich lernen, mich zu fürchten und nicht mehr zu bemitleiden. Vielleicht zittert sie dann vor meinen Launen, statt meine moralische Reinheit zu verehren. Endlich, sage ich dir! Sollen sie bibbern. Sollen sie meinen Staat für verrückt halten. Sollen sie verstehen, daß wir ein wilder Staat sind, eine Lebensgefahr für die ganze Umgebung, Unberechenbare, Verrückte, die plötzlich einen Anfall bekommen und toben, weil man eines unserer Kinder getötet hat — nur eins! —, und imstande sind, alle Ölfelder im Nahen Osten in Brand zu setzen. Apropos, wenn es zufälligerweise dein Kind wäre — Gott bewahre —, hättest du genauso wie ich gesprochen. Sie müssen es in Betracht ziehen in Washington, in Moskau, in Damaskus und in China, daß wir imstande sind, wenn man auf einen unserer Botschafter schießt — und sollte es nur ein Konsul sein oder gar ein Attache für die Belange der Philatelie —, plötzlich, einfach so, vor dem Frühstück, einen dritten Weltkrieg anzufangen. So ein Image verschafft uns sogar — wundere dich nicht — ein bißchen Sympathie: in dieser Stimmung, die heute bei der Jugend herrscht, bei den Intellektuellen im Westen, den Scheinheiligen, den zuckersüßen Weibern; wenn wir uns so benehmen, ist es ein Zeichen dafür, daß wir verzweifelt sind. Und wenn wir verzweifelt sind und zornig, ist es ein Zeichen dafür, daß wir die unschuldigen Opfer sind. Und wenn wir die Opfer sind, muß man uns schnell mit einer Demonstration beistehen, sich mit uns identifizieren. So arbeitet die perverse Psychologie der perversen Schöngeister.

Lies mal Frantz Fanon! Wie dem auch sei, mit oder ohne Sympathiekundgebungen für das verzweifelte, gefährliche Israel, die Hauptsache ist, daß man in der Nähe von Israel auf Zehenspitzen gehen wird. Ja nicht das verletzte Tier verärgern! Sollen sie mit eingezogenen Krallen um uns herum gehen! Es ist an der Zeit!«

Wir sitzen auf der Terrasse des schönen Landhauses von Z., in einem der alteingesessenen Moschavim und schauen nach Westen auf den Sonnenuntergang, der dort zwischen Wolkenketten glüht und den Horizont sanft in Brand steckt, in Feuerfarben, in Gelb-grün, Lila und flackerndes Grau. Die Zitrusfrüchte umhüllen uns mit einem von Sinnlichkeit strotzenden Duft. Vor uns hausgemachtes Kaffeeis [sic!] in hohen, dünnen Gläsern. Z., dessen bekannter Ruf ihm hier und dort vorausgeht, ist ein etwa fünfzigjähriger, tatenreicher Mann. Er ist ein schwerer, kräftiger Mann in kurzen Sporthosen, ohne Unterhemd, sein Körper von einer metallischen Bräune überzogen, eine Bräune von Blonden, die im Sonnenlicht leben. Seine behaarten Beine legt er auf den Tisch, und seine zerfurchten Hände ruhen auf den Lehnen seines Stuhles wie zwei große, übermüdete Lasttiere. An seinem Hals eine verblaßte Narbe. Seine Augen wandern über seine Obstgärten und Plantagen, die am Abhang des Hügels angelegt sind. Mit einer von Zigaretten heiseren Stimme diktiert er mir fließend die Grundsätze seiner Philosophie:

»Und es gibt noch etwas, vielleicht wichtiger als alles andere. Das ist die süßeste Frucht dieses saftigen Krieges im Libanon. Jetzt haßt man schon nicht mehr nur Israel. Jetzt haßt man, dank uns, alle diese Feinschmecker-Juden in Paris, London, New York, Frankfurt, Montreal und in allen ihren Löchern. Man haßt endlich auch diese niedlichen Dschidden, die den ganzen Tag schreien, daß sie was anderes sind, daß sie nicht die gewalttätigenIsraelis sind, daß sie ganz andere Juden sind, saubere, anständige.

So wie der assimilierte Jude in Wien oder in Berlin den Antisemit anflehte, ihn nicht mit dem stinkenden, lauten Ostjuden zu verwechseln, der sich in das kultivierte Milieu einschlich, direkt aus dem schmutzigen Getto der Ukraine oder Polens kommend. Es wird ihnen nicht helfen, diesen sauberen Dschidden, wie es ihnen auch in Berlin und in Wien nicht half. Sollen sie schreien, solange sie wollen, daß sie Israel mißbilligen, daß sie in Ordnung sind, daß sie nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun wollten und wollen, daß sie viel lieber geschlachtet werden als zu kämpfen, daß sie es auf sich genommen haben, den Gojim beizubringen, wie sie gute Christen werden und immer die zweite Backe hinhalten sollen. Jetzt leiden sie unseretwegen, und ich sage dir, es ist ein Vergnügen, das zu sehen, es ist erfrischend. Das sind die Dschidden, die die Gojim überzeugt haben, den Schurken in Vietnam nachzugeben, dem Khomeini und dem Breschnew nachzugeben, mit dem Scheich Zaki Jamani Mitleid zu haben wegen seiner unglücklichen Kindheit, und überhaupt zu lieben anstatt zu kämpfen. Oder weder das eine noch das andere: eine Dissertation über Liebe und Krieg zu schreiben. Von jetzt an ist Schluß damit. Jetzt ist auch der schönste Dschidd ausgestoßen und verachtet. Nicht Jesus allein hat er gekreuzigt, er hat auch den Arafat in Sabra und Schatilla gekreuzigt. Man identifiziert sie mit uns ohne jegliche Unterscheidung, und das ist ausgezeichnet! Man schändet ihre Friedhöfe, man steckt ihre Synagogen in Brand, man ruft ihnen alle alten Kosenamen nach, man verbietet ihnen alle anständigen Klubs, man schießt direkt in die jüdischen Restaurants, man tötet ihnen hier und dort ein paar kleine Kinder, sie werden gezwungen, die ›Mesusa‹ [Pergamentrolle mit Tora-Versen, in Kästchen am Türpfosten befestigt] von ihrer Tür zu entfernen, umzuziehen, den Beruf zu wechseln. Und bald finden sie auf ihre Paläste die Worte geschmiert: Dschidd, geh nach Palästina! Und weißt du was? Sie werden nach Palästina gehen! Sie werden keine andere Wahl haben! Und all das ist eine Prämie des Libanon-Krieges. Sag mal selbst, war es die Sache nicht wert? Und jetzt, mein Lieber, wird bald die gute Zeit beginnen. Die Juden werden anfangen zu kommen. Die Einwanderer werden nicht auswandern, und die Auswanderer kehren zurück. Die Assimilierten werden endlich begreifen, daß es ihnen nichts hilft, wenn sie freiwillig ›das Gewissen der Menschheit‹ sein wollen. ›Das Gewissen der Welt‹ wird nur mit seinem Arsch begreifen, was es mit seinem Schädel nicht kapiert: daß die Gojim, jetzt wie immer schon, an den Dschidden und ihrer Gewissenhaftigkeit kranken. Deswegen wird dem Volke Israel nur ein Weg offenstehen: nach Hause kommen, alle, schnell, eine dicke Stahltür bauen, einen mächtigen Zaun errichten, an allen Ecken des Zaunes Maschinengewehre postieren und wie Teufelskerle jeden, der auch nur in der Umgebung piepst, bekämpfen. Jedem Nachbarn, der Hand an uns legt, muß man eine Hälfte seines Bodens mit Gewalt für immer nehmen und die andere Hälfte verbrennen. Auch das Öl. Auch mit Atomwaffen. Bis ihm die Lust vergeht, mit uns zu streiten. Und weißt du, was am Ende dieses Prozesses herauskommen wird? Halt dich fest, mein Lieber, du erlebst eine kleine Überraschung, ich werde dir genau sagen, was am Ende dieses Prozesses herauskommt. Es werden drei sehr gute Dinge herauskommen, moralische und gerechte Dinge, wie auch du sie wünschst, ohne zu wissen, wie man sie erreichen könnte: a) eine totale ›Sammlung der Zerstreuten‹, b) eine große Rückkehr nach Zion. Von Wand zu Wand. c) Ein echter Frieden, stabil und lebensfähig. Ja. Und danach wird das Land vierzig Jahre und noch mehr ruhen. Und danach kann alles in Erfüllung gehen, was wir uns wünschen. Und danach sollst du das Gepflanzte nicht herausreißen. Jeder unter seinem Weinstock.

Gleich nach Verwirklichung dieses Kapitels, des Kapitels der Aggressivität, bitte, dann seid ihr dran, euren Text vorzutragen. Schafft uns hier Kultur und moralische Werte und Humanismus. Schafft Völkerverständigung. Licht den Völkern. Was ihr wollt. Die Moral der Propheten. Alles. Schafft einen humanistischen Staat, daß die ganze Welt frohlockt, und ihr selbst könnt dann vor Selbstzufriedenheit und Wonne vergehen. Ihr werdet uns viel Händeklatschen bescheren. Den Weltpokal im moralischen Hochsprung. Bitteschön. So ist es, mein Lieber, erst säubern Josua Bin-Nun und Jefta von Gilad die Landschaft, erst vertilgen sie das Andenken der Amalekiter, und erst dann kommt vielleicht die Zeit des Propheten Jesaja mit dem Wolf und dem Lamm und dem Leopard und dem Zicklein und diesem ganzen schönen Zoo. Unter einer Bedingung: daß auch am Ende der Zeit wir der Wolf und alle Gojim hier in der Nachbarschaft das Lämmchen sind. Sicher ist sicher.

Du fragst, ob ich nicht die Massen der Dschidden fürchte, die vor dem Antisemitismus sich hierher flüchten werden, ob sie uns nicht mit ihrer aalglatten Art verweichlichen und zu ihresgleichen machen werden? Hör mal zu: Die Geschichte birgt auch eine List. Dialektik. Ironie. Wer hat den jüdischen Staat fast so groß gemacht wie der König David, wer hat ihn ausgedehnt vom Berge Herrnon bis Ras-Muchamed? Levi Sohn Deboras (Eshkol). Ausgerechnet dieser Sozialist, dieser Vegetarier, dieses Weib. Und wer führt uns direkt hinter die Mauern des Gettos zurück? Wer ist der dumme Rabe aus der Fabel von Krilow, der auf die Bitte des Fuchses, der ihn singen hören wollte, den Käse fallen ließ? Wer hat auf den ganzen Sinai verzichtet, um zivilisiert zu erscheinen? Der Vertreter von Betar in Polen. Dieser senkrechtstehende (unbeugsame) Menachem Sohn Hassias (Begin). Daher kann man nie wissen. Ich weiß nur eines: Wenn man für die eigene Existenz kämpft, ist alles erlaubt. Auch das, was verboten ist, ist erlaubt. Auch das Vertreiben aller Araber von den West-Banks. Alles. Ja. Judeo-Nazis. Leibowitz hat recht. Und warum nicht? Was ist denn dabei? Hör mal zu, mein Lieber, ein Volk, das sich so zur Vernichtung führen ließ, ein Volk, das zuließ, daß man aus seinen Kindern Seife und aus der Haut seiner Frauen Lampenschirme machte, so ein Volk ist ein noch größerer Verbrecher als seine Peiniger. Schlimmer als die Nazis. In einer Welt von Wölfen zu leben ohne Faust, Zähne und Klauen, ist eine größere Sünde als zu morden. Tatsache: die Enkel Himmlers, Heydrichs und Eichmanns leben sehr gut und sind wohlgenährt, sie erteilen uns sogar Lehren bei dieser feierlichen Gelegenheit. Und die Enkel des Baal-Schem-Tow und des Gaon von Wilna und von allen humanistischen, pazifistischen Juden, die so wunderbar philosophierten in Prag und in Berlin, sie werden niemanden mehr belehren, weil sie für immer verschwunden sind.

Lies mal die Gedichte von Uri Zwi Greenberg [Israelischer Lyriker, geb. 1895, gest. 1981] statt der Ästhetik von Gordon [Theoretiker der israelischen Arbeiterbewegung, geb. 1856, gest. 1922] und Martin Buber. Lies ein Gedicht mit dem Titel ›Mein Gott, Vater der Völker‹. Vielleicht lernst du es auswendig. Vielleicht rettet es einmal deine Kinder. Wenn unsere sehr netten Ahnen, anstatt Bücher zu schreiben über die Verbrüderung der Menschheit, anstatt mit dem Lied ›Höre Israel‹ in die Gaskammern zu gehen, wenn sie beizeiten hierher gekommen wären und — halt dich fest! — sechs Millionen Araber oder nur eine Million vernichtet hätten, was wäre geschehen? Gewiß, man hätte über uns zwei, drei sehr unangenehme Seiten in den Geschichtsbüchern geschrieben, man hätte uns allerlei Namen gegeben, aber wir könnten heute hier sein, ein Volk von fünfundzwanzig Millionen! Respektabel, nicht wahr? Und die Schriftsteller hätten schöne Romane geschrieben, so wie Günter Grass und Heinrich Böll, über unsere Schuldgefühle, über Scham und Reue und hätten dafür ein paar Nobelpreise für Literatur und Moral bekommen. Vielleicht hätte die Regierung sogar etwas Wiedergutmachung von den Einnahmen aus unseren Ölquellen im Irak an diejenigen Araber weitergeleitet, die umzubringen uns nicht gelungen ist. Aber das Volk Israel wäre in seinem Land! Zwanzig, fünfundzwanzig Millionen! Vom Suez-Kanal bis zu den Ölfeldern hätten wir uns ausgebreitet, und glaub mir, daß uns trotz unserer Verbrechen alle Schurken von morgens bis abends umworben und uns Angebote und Komplimente gemacht hätten. Von Moskau und von Peking und von Washington. Trotz der blutbefleckten Hände und ähnlichem.

Hör dir das an: Ich bin auch heute bereit, freiwillig die schmutzige Arbeit für das Volk Israel zu erledigen, Araber zu töten nach Bedarf, sie zu verbannen, zu verjagen, zu verbrennen, uns verhaßt zu machen, den Boden unter den Füßen der Dschidden in der Diaspora in Brand zu stecken, damit sie gezwungen werden, schnell nach Israel zu laufen. Auch wenn ich dafür ein paar Synagogen hier und dort sprengen muß. Das ist mir egal. Es ist mir sogar egal, wenn du mir fünf Minuten, nachdem ich dieses schmutzige Geschäft beendet habe, wenn das ganze Projekt fix und fertig ist, wenn du mir dann einen Nürnberger Prozeß machst. Gib mir hinterher lebenslänglich. Häng mich, wenn du willst, als Kriegsverbrecher auf. Und dann wirst du das jüdische Gewissen gründlich mit Chlor waschen, und du kannst eintreten, groß und schön und gesund, in den respektablen Klub der humanistischen Kulturvölker. Bitte. Ich nehme diesen schmutzigen Job auf mich, und du darfst mich nennen, wie du willst. Ihr alle habt vielleicht aus lauter Klugheit noch nicht begriffen, daß die schmutzige Arbeit des Zionismus noch nicht vollendet ist. Weit davon entfernt. Richtig, sie könnte schon beendet sein seit dem Jahre '48, aber ihr habt gestört. Ihr habt sie verzögert. Ihr habt nicht zugelassen, daß sie beendet wird. Und alles wegen dieses Dschiddismus in eurer Seele. Wegen der Diaspora. Wegen des Chirbet-Chise-Komplexes. [Chirbet-Chise ist der Name eines arabischen Dorfes, dessen Zerstörung in einer Erzählung von S. Yishar aus dem Jahre 1948 geschildert wird.] Schade! Heute könnten wir schon alles hinter uns haben, ein normales Volk sein mit vegetarischen Werten, mit humanen Nachbarschaftsbeziehungen zwischen uns und dem Irak und Ägypten und mit einer leicht kriminellen Vergangenheit: wie alle. Wie die Engländer und die Franzosen und die Deutschen und die Amerikaner, die schon vergessen konnten, was sie den Indianern getan haben, und die Australier, die fast alle Aborigines vernichtet haben, und wer nicht? Was ist denn, was ist schlecht daran, ein zivilisiertes, respektables Volk mit einer leicht kriminellen Vergangenheit zu sein? Das kommt in den besten Familien vor. Und ich sagte dir bereits: ich bin bereit, die kriminelle Vergangenheit auf mich zu nehmen, zusammen mit Sharon und Begin und General Eitan. Und ich akzeptiere, daß du dann kommst und daß du die rosige, reine und vegetarische Zukunft sein wirst. Du wirst Sühnebücher für meine Verbrechen schreiben. Und sie werden dir vergeben! Klar werden sie dir vergeben! Die breite Öffentlichkeit wird deine Gewissenhaftigkeit bewundern! Du wirst in den besten Salons eingeführt werden! Aber nur, nachdem meine Kanone oder schmutzige Napalm-Bombe den Indianern die Lust und die Kraft ausgetrieben hat, deine und meine Kinder zu skalpieren, und nur, nachdem Millionen Dschidden schon hier sein werden, zu Hause, und nur nachdem das Haus schon groß und breit ist mit genügend Räumlichkeiten.

Warum ich sie die ganze Zeit Dschidden nenne? Ich werde dir sagen, warum. Und nicht in meinen Worten — ich bin ja ein Judeo-Nazi —, sondern mit den Worten unseres Lehrers Moses, der mit den zehn Geboten, ein Jude, dem sogar die aufgeklärten Gojim ein Anerkennungszeichen ausgestellt haben. So sagte er über uns: ›Dazu wirst du unter denselben Völkern kein bleibend Wesen haben, und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben. Denn der Herr wird dir daselbst ein bebendes Herz geben und Augen voller Heimweh und eine verdorrte Seele und dein Leben wird an einem Faden hängen. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein.‹ Das ist die ganze Diaspora in Kürze. Das ist eine zutreffende Beschreibung des Dschidd. Wie unter einem Mikroskop. Und das wollte der Zionismus aus der Welt schaffen. Man kann es aber nicht beseitigen, bis die Dschidden verstanden haben, wo sie leben und was sie erwartet, wenn sie nicht vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause eilen. Und der Dschidd ist schwer von Begriff. ›Ein Volk, das einem Esel ähnelt.‹ ›Ein niederträchtiges und unverständiges Volk.‹ Wenn du die Augen öffnest und aufmerksam die Welt um dich betrachtest, wirst du feststellen, daß die Finsternis naht. Die Finsternis kehrt wieder. Wir haben schon gesehen, was mit einem Juden geschieht, der draußen bleibt in der Finsternis. Es ist schon gut, daß dieser kleine Krieg im Libanon die Sicht für die Dschidden ein wenig verdunkelt hat, laß sie fürchten, sollen sie leiden, sollen sie schnell nach Hause kommen, im Laufschritt, bevor die wirkliche Dunkelheit alles umhüllt. Ich bin Antisemit? Ja? In Ordnung, dann streich mich weg. Schreibe nicht, was ich sage. Man soll einen Antisemiten nicht zitieren. Schreib statt dessen, was Lilienblum [Lilienblum — einer der geistigen Väter des Zionismus] sagte. Er war mit Sicherheit kein Antisemit. In Tel Aviv ist sogar eine niedliche Straße nach ihm benannt worden.« (Z. liest aus einem kleinen Heft vor, das vor ihm auf dem Terrassentisch lag, schon bevor ich kam.)

» ›Ist all dies nicht ein untrügliches Zeichen dafür, daß unsere Vorväter wie auch wir zur Schande der Menschheit und zum Gespött der Völker werden wollten und es noch wollen. Daß wir das Zigeunerleben schätzen?‹ Das ist Lilienblum, bin nicht ich. Hör mal, mein Lieber, ich habe die zionistische Literatur durchgeackert. Glaube mir, ich habe Belege für jede Sache. Möchtest du vielleicht Herzl höchstpersönlich hören? Bitte: ›Wenn man gesund ist und die Geschäfte florieren, kann man den Rest ertragen.‹ Ich weiß nicht, ob Herzl Jiddisch sprach. Man bestreitet es, aber dieser Satz kommt direkt aus der dschiddischen Perversität. Direkt aus der jiddischen Sprache. Dieser Satz bezeichnet den direkten Weg nach Auschwitz. Genügen dir nicht Lilienblum und Herzl? Komm, hör mal, was der Maimonides [Maimonides — auch als Rambam bekannt] sagt. Ein internationaler Philosoph und Arzt. So äußert er sich über uns: ›Deswegen haben wir unser Königreich verloren, wurde unser Tempel zerstört und nimmt unsere Verbannung kein Ende … weil unsere Vorväter sündigten … weil sie sich mit Kriegführung und Landeroberung nicht beschäftigt hatten.‹ Landeroberung, mein Lieber, nicht die Verteidigung von Gut und Habe! Nicht die grüne Linie! Nicht ›Krieg als letzte Alternative‹. Du kannst schreiben, daß ich der Abschaum der Menschheit bin. Ich protestiere nicht dagegen. Im Gegenteil, ich schlage dir diese Arbeitsteilung vor:

Ich werde alles tun, um die Araber so weit wie möglich zu vertreiben, ich werde alles tun, um den Antisemitismus zu schüren, und ihr werdet Gedichte über das bittere Schicksal der Araber schreiben und mit Eimern in den Händen bereitstehen, die Dschidden aufzunehmen, die ich hierher vertreiben werde, und ihr erzieht sie dann dazu, Licht den Völkern zu sein. Ich werde arabische Dörfer vernichten, und ihr demonstriert gegen mich und verfaßt die Trauerreden für sie. Ihr sollt die Ehre der Familie sein und ich deren Schandfleck. Bitte. Ist das nicht ein Abkommen?«

An einem Punkt, hier oder schon früher, habe ich den Redefluß von Z. unterbrochen und laut eine flüchtige Überlegung geäußert, mehr für mich als für meinen Gastgeber: »Ist es denn möglich, daß das, was Hitler den Juden angetan hat, nicht nur ein Schwertschlag, sondern ein Schlangenbiß war? Ist jenes Gift tatsächlich in die Herzen eingedrungen, in einige der Herzen und brodelt dort weiter?« Z. widersprach dieser Überlegung nicht, erhob seine Stimme auch nicht. Wie er seine Stimme auch kein einziges Mal während seines ganzen Monologes erhoben hatte, und wie er es wahrscheinlich auch in schwierigen Stunden, in den berühmten Abenteuern, die er einst durchmachte, nicht tat. Er antwortete mit Gelassenheit: »Hör zu, mein Lieber. Wenn der berühmte jüdische Verstand sich weniger mit der Rettung der Welt und der Verbesserung der Menschheit abgegeben hätte, weniger mit Marx, Freud, Kafka und all diesen Genies, Einstein einbegriffen, wenn man sich statt dessen ein wenig beeilt hätte — nur zehn Jahre insgesamt — und einen winzigen jüdischen Staat errichtet hätte, eine Art selbständigen Brückenkopf von Chadera bis Gedera, wenn man beizeiten für diesen winzigen Staat eine winzige Atombombe erfunden hätte, wenn man diese zwei Dinge getan hätte, wäre nie ein Hitler aufgekommen. Wäre der Holocaust nicht möglich gewesen. Niemand auf der Welt hätte sich getraut, Hand an die Juden zu legen. Und wir wären hier heute zwanzig Millionen vom Suez-Kanal bis zu den Ölfeldern. Man müßte diese Bombe gar nicht erst auf die Deutschen und Araber werfen. Es würde schon genügen, wenn im Jahre '36 oder '38 so eine Bombe in einem jüdischen Magazin in einem winzigen Staat existiert hätte, und kein Hitler hätte es gewagt, einem Juden ein Haar zu krümmen. Und alle, die gestorben sind, wären noch am Leben. Sie und ihre Nachkommen. Was denn, konnten alle Juden der Welt in den dreißiger Jahren nicht alle ihre Kräfte darauf verwenden, einen kleinen Staat mit einer kleinen Bombe zu errichten? Vielleicht hätten wir den Völkern sogar den Zweiten Weltkrieg erspart. Vielleicht hätten wir uns fünf, sechs Kriege mit den Arabern erspart. Hör dir mal an, was im fünften Buch Moses darüber steht: ›Ihr werdet nur in geringer Zahl übrigbleiben, wäret ihr auch vorher zahlreich wie die Sterne des Himmels: weil du auf SEINE, deines Gottes Stimme, nicht gehört hast.‹

Durchläuft dich kein Schauder, wenn du das hörst? Und neben diesem Vers, nicht weit davon entfernt, wird über Juden deiner Art gesprochen: ›Der weichlichste Mann unter dir, der sehr verwöhnte … vom Fleisch seiner Söhne wird er essen in der Not, in der Bedrängnis, in der dein Feind dich einengt an all deinen Toren.‹

Das gefällt dir nicht, oder? Ich sehe es dir an, daß du diesen Vers nicht genießt. Das ist nicht der schönste Aspekt der jüdischen Tradition, das Fleisch unserer Söhne zu essen. Du hast recht. Pfui! Das ist scheußlich. Aber wenn wir es nicht noch mal erleben möchten, müssen wir endlich von der dschiddischen Krankheit kuriert werden, nicht ›weichlich und verwöhnt‹ sein. Jedenfalls nicht auf diesem Planeten. Vielleicht auf dem Planeten des kleinen Prinzen. Aber nicht auf diesem Planeten.

Komm, mein Lieber, laß uns hineingehen. Die Mücken, die ich hier habe, sympathisieren nicht besonders mit den Linken. So wie du aussiehst, könntest du ein Glas Whisky sehr gut gebrauchen. Setz dich. Ich habe einen guten Whisky. Zwei Sorten. Es gibt auch Campari und Dubonnet. Was nimmst du? Du brauchst sicher eine Minute oder zwei, um das abzuwägen. Überleg es dir, mein Lieber. Bitteschön. Wenn du deine Überlegungen abgeschlossen hast, laß mich wissen, wofür du dich entschieden hast, und wir werden das Glas erheben. Macht nichts. Eigentlich müßte ich dich und all deine Freunde hängen lassen, und schau, statt dessen halte ich dir Vorträge und schenk dir auch noch Whisky ein. Möglicherweise bin ich auch schon ein wenig so ein Dschidd geworden. Das ist sehr ansteckend.«